Maggie O'Dell 03 - Schwarze Seele
Tresen das Kabel ab und entwirrte es immer wieder. Großer Gott, er war beinah fertig. Sie versuchte wieder, den Knoten zu erreichen, streckte die Finger, und ihre Gelenke rieben gegen das Metall der Handschellen. Wenn sie die Füße freibekam, konnte sie sich vielleicht wehren, wenn er auf sie losging, um sie zu erdrosseln. Mit diesem pochenden Schmerz im Arm würde es schwierig sein, das Bewusstsein zu behalten. Sie durfte es nicht zu einer Ohnmacht kommen lassen, oder sie war verloren.
Er stand am Tresen, den Fernauslöser in der Hand. Maggie sah ihn mit der anderen Hand die Waffe aufnehmen und erstarrte geradezu. Er wollte gar nicht die Wäscheleine benutzen. Nahm er diesmal wirklich die Waffe?
Er drehte sich zu ihr um. Sie hatte die Knie bis zur Brust angezogen. Ihre Finger verharrten an der Leine. Dass er es sah, machte nichts mehr aus. Es war zu spät. Er war bereit.
Plötzlich war ihr Körper - und sogar ihr Verstand - gelähmt wie der rechter Arm.
Wortlos kam Garrison auf sie zu und zog das Kabel hinter sich her. Er stand genau vor ihr, weniger als einen halben Schritt entfernt, sah zurück auf die Kamera und überprüfte den Winkel. Er legte sich das Kabel in der Hand zurecht und nahm den kleinen Plastikballon zwischen Daumen und Zeigefinger, der mit einem raschen Druck die Kamera auslösen würde.
Er war so weit.
„Denken Sie dran“, sagte er ihr, ohne den Blick von der Kameralinse zu nehmen. „Titelseite, exklusiv.“
Bevor sie sich bewegen oder reagieren konnte, hielt Garrison sich den Lauf seiner Waffe an die rechte Schläfe. Beide Hände drückten und lösten Waffe und Kamera in morbidem Einklang aus.
Maggie schloss die Augen gegen den Sprühnebel aus Blut und Hirnmasse, der ihr ins Gesicht und gegen die Wand spritzte. Das Klicken der Linse ging im Explosionsknall der Waffe unter. Der Geruch des Mündungsqualms erfüllte den Raum.
Als sie die Augen öffnete, sah sie Garrisons Körper gerade noch vor sich zu Boden fallen, die Augen offen, der Blick bereits leer.
Unwillkürlich dachte sie, dass Ben Garrisons Seele schon lange vor seinem Tod entflohen war.
EPILOG
Montag, 2. Dezember,
Washington, D. C.
Maggie saß wartend vor dem Konferenzraum des Polizeichefs und lehnte den Kopf an die Wand. Ihr Nacken schmerzte, sogar mehr als der Arm, den sie in einer Schlinge trug. Tully saß ruhig neben ihr und starrte auf die Tür, als wolle er sie mit dem Blick öffnen, und beachtete die Zeitung nicht, die er auf dem Schoß ausgebreitet hatte. Die Schlagzeile der Washington Times berichtete von neuer, verbesserter Flughafensicherheit. Irgendwo im unteren Teil war ein kleiner Artikel über den Selbstmord eines Fotojournalisten.
Tully sah, dass Maggie auf die Zeitung schielte. „Der Cleveland Piain Dealer brachte den Selbstmord auch nur in einer kleinen Mitteilung“, erklärte er, als lese er ihre Gedanken. „Wäre vielleicht eine Topstory geworden, wenn es Fotos dazu gegeben hätte.“
„Ja.“ Maggie nickte. „Ein Jammer, dass es keine Fotos gab.“
Er schenkte ihr einen seiner skeptischen Blicke mit gefurchter Stirn und hochgezogenen Brauen. „Aber es gab Fotos.
„Leider wurden sie als Beweismittel eingestuft. Wir können schließlich keine Fotos veröffentlichen, die Beweismittel sind, oder? Sie ermahnen mich doch ständig, mich an die Regeln zu halten.“
Daraufhin lächelte er. „Diese Beweismittel sind also an einem sicheren Ort verwahrt?“
Sie nickte nur, lehnte sich zurück und richtete ihre Schlinge. Das war ihre persönliche Version geübter Gerechtigkeit. Ben Garrisons entsetzliche Bilder sollten ihm nicht den Ruhm verschaffen, nach dem er gegiert hatte. Ein Ruhm, von dem er so besessen gewesen war, dass er sich selbst zum entsetzlichen Bild gemacht hatte.
„Haben Sie von Emma gehört?“ fragte Maggie in dem durchsichtigen Versuch, Tully von den Beweisfotos und den Filmrollen abzulenken, die sicher in ihrem Aktenschrank in Quantico lagerten.
„Sie bleibt noch eine Woche bei ihrer Mom“, erwiderte er, ging bereitwillig auf das Thema ein und legte die Zeitung auf den Tisch neben sich, auf einen Stapel alter Newsweek. „Sie hat Alice eingeladen, bei ihnen zu wohnen. Sie wollte auch Justin Pratt einladen.“
„Wirklich? Und was sagte Caroline dazu?“
„Ich glaube kaum, dass es Caroline etwas ausgemacht hätte. Das Haus ist riesig. Aber ich habe mein Veto eingelegt. Jungen sind nicht erlaubt.“ Er lächelte, als sei er froh über sein Mitspracherecht. „Allerdings
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