Magic Girls 10 - Der goldene Schlüssel
schnappte sich ein Buch, das auf dem Kopfkissen lag, zauberte sich eine Leuchtkugel, die über ihrem Kopf schwebte, und begann zu lesen. Elena dagegen starrte mit offenen Augen in die Dunkelheit.
»Du denkst an Milan«, sagte Miranda nach einer Weile.
»Ja, genau«, gab Elena zu. Sie sah Miranda an. »Warst du etwa in meinem Kopf?«
»Quatsch. Ich habe dich nur angesehen. Du hast so glücklich vor dich hin gelächelt …« Miranda klappte das Buch zu und sprang aus dem Bett. Wieder huschte sie auf den Balkon. Diesmal kam sie strahlend zurück.
»Er ist eingeschlafen.«
»Bist du sicher?«
»Das Fenster steht einen Spalt offen. Jeremias schnarcht.« Miranda setzte sich wieder aufs Bett. »Ich kann anfangen …«
Elena beobachtete Miranda ängstlich. Hoffentlich gelang ihr Plan! Elena drückte beide Daumen. Sie selbst traute sich nicht, Jeremias’ Gedanken zu lesen. Miranda war in dieser Hinsicht einfach routinierter als sie …
Es war nicht schwer, in Jeremias’ Gedanken einzudringen. Miranda hatte darin Übung. Sie trainierte oft heimlich – natürlich nicht in den Köpfen ihrer Freundinnen und auch ganz selten im Hause Bredov. Manchmal, wenn sie sich im Unterricht langweilte, versuchte sie es bei Mitschülerinnenoder auch bei Lehrern. Oder sie nutzte die Gelegenheit, während einer Einkaufstour herauszufinden, was andere Leute gerade dachten. In die meisten Köpfe konnte sie sich mühelos einschleichen, weil die Menschen nicht gelernt hatten, Gedankenbarrieren aufzubauen. Miranda konnte in ihnen lesen wie in einem Buch. Meistens dachten sie nur an alltägliche Dinge, beispielsweise
Habe ich genügend Geld dabei?
oder
Zum Kuckuck, gibt’s in diesem Shoppingcenter denn keine Toilette?.
Ab und zu fand Miranda auch gehässige Gedanken und Pläne, sich an jemandem zu rächen. Am schönsten war es, wenn sie auf jemanden stieß, der gerade verliebt war. Dann war es, als würde man in eine rosarote Wattewolke eintauchen. Jeder Gedanke schien nach Himbeereis zu schmecken. Ein paar Augenblicke in so einem Kopf – und es war, als hätte sich Miranda einen Wellnesstag gegönnt.
Gedankenlesen
Im Laufe ihrer Ausbildung soll jede Hexe lernen, wie man Gedanken liest. Manche Hexen sind dafür begabter, andere müssen sich sehr anstrengen. Es ist nicht leicht, mental in den Kopf anderer Leute einzudringen und herauszufinden, was sie denken oder woran sie sich erinnern. Einige Personen sind nämlich Meister darin, Blockaden in ihrem Kopf zu errichten, damit kein neugieriger Fremder ihre Gedanken lesen kann!
Natürlich lernen Hexen auch selber, wie sie ihre eigenen Gedanken vor anderen Hexen und Zauberern schützen können! Im Schlaf kann man oft leichter in die Gedanken anderer Leute eindringen. Doch Achtung! Es gibt Profis, die selbst während des Schlafs undurchdringliche Barrieren errichtet haben, sodass es unmöglich ist, ihre Gedanken zu ergründen.
Außerdem können lebhafte Traumbilder erheblich stören!
Jetzt bei Jeremias war es allerdings anders. Die ersten Gedankenbilder, die Miranda fand, waren völlig normale Szenen: Die Familie Bredov beim Abendessen. Der kleine Rufus verschüttete seine Milch und Daphne zauberte die Flüssigkeit in seine Tasse zurück. Mona lächelte mit schmalen Lippen. Ihr Blick war in Jeremias’ Erinnerungen viel bohrender, als Miranda ihn normalerweise wahrnahm.
Miranda drang tiefer in Jeremias’ Gedächtnis ein und versuchte, den Augenblick zu erwischen, in dem er mit dem Handkarren und dem Nachtkästchen loszog. Sie musste ein wenig zwischen den einzelnen Bildern blättern, doch dann fand sie das, was sie suchte. Jeremias im Garten. Wie er den Handkarren aus dem Schuppen holte und sich dabei einen Holzsplitter im Daumen zuzog. Das mühsame Aufladen des Nachtkästchens. Miranda wunderte sich, dass Jeremias nichtmit Magie nachgeholfen hatte, aber er hatte bestimmt seine Gründe dafür gehabt.
Miranda sah, wie Jeremias mit dem Karren den Garten verließ. Er ging zielstrebig die Straße entlang. War sein Ziel wirklich die Müllumladestation? Miranda kam sich vor wie ein Vogel, der Jeremias hinterherflatterte. Doch plötzlich war da ein Sprung … Sie befand sich mitten in der Fußgängerzone, und es wimmelte von Leuten, die einkaufen wollten. Komischerweise stieg Nebel vom Boden auf und die Menschen trugen hohe, spitze Hüte. Miranda hatte Mühe, Jeremias nicht aus den Augen zu verlieren. Da prallte sie mit einer schwarz gekleideten Frau zusammen. Die Frau machte ein wütendes
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