Magical Mystery
aus dem Club-Ding. Ich geh da nicht mehr hin und so. Eigentlich dürfte ich nicht mal mit euch telefonieren.«
»Du machst es aber trotzdem, Charlie. Und hat es dir bis jetzt geschadet?«
»Ich bin für sowas nicht gebaut, Ferdi. Ich kann nicht einfach mit einer Gruppe von Verstrahlten durch die Gegend fahren und davon ausgehen, dass das gut geht, ich meine, dass ich da einfach so nüchtern bleibe.
»Wieso, wir sind doch abschreckende Beispiele!«
Ah, Ferdi! Ich verspürte wieder dieses Ziehen. Aber mit Angst dabei.
»Dann eben mehr als zweitausend«, sagte Ferdi.
»Zweitausend ist eh zu wenig. Egal, was ihr da vorhabt. Ist ja nicht so, dass ich das schon wirklich begriffen hätte.«
»Dreitausend.«
Ich musste nachdenken.
»Bist du noch dran, Charlie? Ich hasse dieses Funkding. Da weiß man nie, ob die Leitung noch steht.«
»Viertausend«, sagte ich und hoffte, den Spuk damit zu beenden.
»Easy«, sagte Ferdi. »Aber für viertausend musst du auch gut drauf sein. Ich hab keine Lust, da so ‘n Partypuper dabeizuhaben.«
»Du kennst mich doch, Ferdi.«
»Ja, aber nicht nüchtern.«
Er gab mir die Adresse von ihrem Büro und fragte, wann ich kommen könnte.
»Wenn ich überhaupt komme, dann etwa Montag Mittag, Ferdi«, sagte ich.
»Geht’s nicht früher? Sonntag?«
»Nein. Das geht nicht früher.«
»Easy. Dann Montag Mittag.«
»Wenn ich komme.«
»Magical Mystery«, sagte Ferdi. »Das ist genau der Punkt, Charlie: Magical Mystery. Da geht’s schon los, Magical Mystery, sieh’s mal so.«
»Ist das nicht eigentlich von den Beatles?«
»Ja, aber von uns auch, wir knüpfen da wieder an!«
»Dann ist ja gut«, sagte ich. »Aber ich muss da wirklich erst drüber nachdenken.«
»Entweder du bist da oder du bist nicht da«, sagte Ferdi. »Magical Mystery, Charlie.«
Nach dem Telefonat blieb ich für den Rest der Mittagspause in der Werkstatt sitzen. Ich hatte zwar Hunger, aber keine Lust auf den Speisesaal und die Therapeuten und Lehrer, die da jetzt saßen und aßen und für die ich der Freak mit dem Kittel war. Außerdem musste ich nachdenken. Als die Mittagspause vorbei war, ging ich zu Frau Schmidt, erwirkte einen Zahlungsaufschub für die zweiundfünfzig Einheiten, die ich mit Raimund und Ferdi vertelefoniert hatte, und sagte Dr. Selge, dass ich jetzt mit dem Abfeiern von Überstunden beginnen würde. Sie hatte keine Einwände.
Das Letzte, was ich sah, als ich das Gelände des Kinderkurheims Elbauen verließ, war Herr Niemeyer von hinten, wie er am äußersten Ende des Grundstücks stand und mit der Grabgabel in den Rasen stach.
8. Das dunkle Gefühl
Am Samstag wachte ich auf und da war es, das dunkle Gefühl, zwar nicht direkt über mir, aber im Zimmer, und es sah mir dabei zu, wie ich unter der Decke lag und mich nicht bewegte, brachte sich in Erinnerung, die alte Sau, zum ersten Mal seit ich die Pillen abgesetzt hatte, und seltsam war nur, dachte ich, als ich da so lag und mich nicht bewegte, dass ich so naiv gewesen war zu glauben, dass es nicht wiederkommen würde, wenn ich die Pillen absetzte, ganz schön blöd. Dr. Selge hatte es mir prophezeit und Werner hatte es mir prophezeit und ich hatte gelacht und »Lass gut sein« zu Werner gesagt. Zu Dr. Selge natürlich gar nichts, da hatte ich nur genickt, was sie nicht zu deuten gewusst hatte, die blöde Ziege.
Werner musste schon am Freitagabend was geahnt haben, er hatte mir einige komische Fragen gestellt beim außerordentlichen Plenum, das nur einberufen worden war, um seinen Abschied am nächsten, also diesem Morgen und die damit verbundene Übergabe an Gudrun vorzubereiten, und das waren natürlich doofe Fragen aus der »Was-ist-denn-bloß-los-mit-dir«-Spielklasse gewesen, der übliche »Wie-siehst-du-denn-aus«-Quatsch, dabei war ich eigentlich bloß müde gewesen, aber jetzt, am Morgen danach, als ich unter der Decke lag und das dunkle Gefühl im Raum war, irgendwo zwischen Sessel und Regal lauerte und mich dazu brachte, ganz still zu liegen und mir selbst beim Atmen zuzuhören, wurde mir klar, dass das nicht irgendeine Müdigkeit gewesen war, keine Müdigkeit von der Art, die einen dazu bringt, sich aufs Bett zu freuen, nicht die Sorte Müdigkeit, die Leute wie Herr Niemeyer geschenkt bekamen, nachdem sie einen ganzen Tag lang mit der Grabgabel im Rasen herumgestochert hatten, keine Müdigkeit, wie sie mich, wenn alles glatt ging, auch in der Lüneburger Heide nach einem Tag voller Sport und Wassertreten und frischer Luft
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