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Magical Mystery

Magical Mystery

Titel: Magical Mystery Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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und dem ganzen Scheiß erwarten würde, nein, eine solche Müdigkeit war es nicht gewesen am Freitagabend beim außerordentlichen Plenum, es war die andere Müdigkeit gewesen, die dunkle Müdigkeit, die so sehr den ganzen Körper im Griff hat, dass der Gedanke, sie mit Schlaf zu kurieren, lächerlich ist, als wolle man Hautkrebs mit Sonnencreme heilen oder was weiß ich, mit was man das vergleichen soll, eine Müdigkeit, die so überwältigend war, dass der Gedanke an den Tod keine Angst mehr machte, das war vielleicht das einzig Gute daran, wenn man sowas gut findet, es hat ja auch nicht jeder Angst vor dem Tod oder vielleicht doch, keine Ahnung, beim Plenum saß ich jedenfalls da und kämpfte dagegen an, saß also da mit weit aufgerissenen Augen und zugleich gesenktem Kopf, damit die anderen nichts mitkriegten, aber Werner, der alte Fuchs, kriegte natürlich doch was mit und schreckte mich mit seinen blöden Fragen immer wieder auf und ich hatte es immerhin durch das Plenum geschafft, ohne dass er mich auf irgendwas festnageln konnte, »Man wird ja wohl noch müde sein dürfen!« ist zwar nicht die beste Ausrede der Welt, aber ich kam gerade noch so damit durch, es war ja auch noch nicht die volle Lotte gewesen, sondern nur die halbe Miete der dunklen Müdigkeit, so wie ich jetzt, am Morgen danach, das dunkle Gefühl nicht direkt über mir, sondern nur in der Ecke des Zimmers verspürte, und ich spielte einige Zeit mit dem Gedanken, doch wieder mit den Pillen anzufangen, ich hatte ja eine Notfallpackung immer in der Nähe, eine in der einen Jacke, eine in der anderen Jacke, eine im Regal, eine im Nachttisch, aber das Gute oder Schlechte war, je nachdem, wie man es anschaute, dass die sowieso nicht gleich wirkten, dass also auch von ihnen keine schnelle Hilfe zu erwarten war, da konnte man genausogut noch ein bisschen damit warten und schauen, ob es nicht von selber wieder wegging, das dunkle Gefühl, etwas schnell Helfendes, ein schönes Hallowach, irgendeinen Kickstarter in Pillenform hatte mir keiner für diesen Fall verschrieben, da trauten sie einem nicht, hätte ich auch nicht gemacht an deren Stelle, und ich lag also am Samstagmorgen da und wusste, dass ich höchstens noch zehn Minuten hatte, bevor einer kommen würde um zu gucken, warum ich nicht beim Frühstück war, denn es war schon die Zeit für das samstägliche gemeinsame Frühstück, bei dem Werner noch dabei sein wollte, bevor um Punkt elf dann Gudrun kommen und ihn ablösen sollte, und ich lag also da und wusste natürlich, dass mir das alles nichts mehr brachte, das gemeinsame Frühstück, die Plenums oder Plena oder was weiß ich, die Arbeit, Werner, die anderen, das war alles sinnlos, trostlos, zwecklos, das war deren Ding und ich war, wenn ich richtig überlegte, einfach und ganz und gar und vollständig und ohne Einschränkung einsam, es gab in Altona und Othmarschen keinen, der mich nicht mit anderen Augen sah als ich selbst, ich war Fürsorgefleisch für Werner und Gudrun, arroganter Sack für Klaus-Dieter, Henning und Astrid, Hiwi-Trottel für das Kinderkurheim Elbauen, Multitox-Wrack für den Gutachter von der Krankenkasse, Pillenjunkie für Dr. Selge und gescheitertes Kind für meine Mutter, und umgekehrt konnte ich mit diesen Leuten auch nichts anfangen, es waren ja alles Idioten, so dachte ich jedenfalls in diesem Moment, obwohl ich wusste, dass das jetzt undankbar war, weil sie mich letzten Endes alle zusammen gerettet hatten vor genau diesem dunklen Gefühl, das jetzt wieder in meinem Zimmer hockte und darauf wartete, dass ich das Falsche tat, und das mit ihnen, den anderen also, überhaupt nichts zu tun hatte, dessen Ursprung ganz woanders lag, aber ohne Zusammenhang hin, undankbar her, daran, dass Jimmy und Johnny meine einzigen Freunde in diesem Leben hier waren, änderte das gar nichts, und wer Jimmy und Johnny als Freunde hat, hat nicht viel, eine Handvoll Mehlwürmer und weg sind sie, und mir wurde, während ich dort lag, elender und elender und das dunkle Gefühl kam näher und näher und ich kramte schon im Nachtschränkchen, einem wackeligen Schrott aus dem Sozialamtsmöbellager, um die verdammten Pillen zu finden, da hatte sich einiges an Krimskrams und Büchern und sonstwas angestaut in dem scheiß Nachtschränkchen, da war ein kleiner Streifen Pillen schnell mal unauffindbar, jedenfalls erwischte ich mich dabei, wie ich schon nach den Pillen kramte, als mir noch etwas einfiel, was die Sache mit den Pillen vielleicht

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