Magie der Worte
sich ein uralter Spruch gegen Diebstahl, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Die Übersetzung lautet etwa wie folgt:
„Dieses soll man sprechen, wenn jemand irgendetwas seines Besitzes (Vieh) gestohlen hat. Er spreche, bevor er irgendein anderes Wort sage:
Bethlehem heißt die Stadt, wo Christus geboren ward,
sie ist bekannt über die ganze Erde;
ebenso werde diese Tat den Menschen bekannt,
beim Kreuze Christi!
Und verneige dich dann dreimal nach Osten und sprich dreimal:
Das Kreuz Christi möge es von Osten zurück bringen.
Und dreimal nach Westen und sprich:
Das Kreuz Christi möge es von Westen zurück bringen.
Und dreimal nach Süden und sprich:
Das Kreuz Christi möge es von Süden zurück bringen.
Und dreimal nach Norden und sprich:
Das Kreuz Christi war verborgen und ist wiedergefunden worden.
Die Juden hängten Christus ans Kreuz,
taten ihm die schlimmste aller Taten an;
verbargen, was sie zu verbergen nicht vermochten.
Ebenso soll diese Tat niemals verborgen werden
beim Kreuze Christi.
Hier sieht man klar die Verbindung zwischen christlichem Glauben und heidnischen Beschwörungen.
Der Aufbau des Spruchs ist gegliedert: Zuerst wird angegeben, in welchem Zusammenhang der Spruch zu verwenden ist und gibt dann – nach einer Art Rezitationsteil – klar bekannt, um was es sich handelt: um Viehdiebstahl nämlich. Das hat seinen Grund: Nach der damaligen Rechtslage nämlich musste solch ein Diebstahl unverzüglich ausgerufen werden. Genauso wie das von den Juden entwendete Kreuz soll auch der gestohlene Besitz wieder aufgefunden werden. Das Kreuz selbst wird dabei als Instrument zur Wiederbeschaffung beschworen. Die eigentliche Beschwörung im Spruch dient dazu, das gestohlene Gut zurückzubringen. Auffallend ist hier die Crux-Christi-Formel ; sie scheint weit verbreitet gewesen zu sein, denn sie findet sich in nahezu identischer Formulierung in späteren Sprüchen aus Flandern und aus Skandinavien wieder.
Warum man Viehdiebstahl früher sofort „ausrufen“ musste
Die damaligen Gesetze schrieben vor, dass ein Bestohlener, der das gerüefte (mhd. auch geruofede oder geruofte = das Rufen, Geschrei; lat. clamor – so nannte man das „Ausrufen“ des Diebstahls) unterließ und später gegen den Dieb klagte, sogar mit einer Geldstrafe belegt werden konnte. Außerdem konnte der Beklagte selbst die Klage immer dann abwenden, wenn er – nicht auf frischer Tat ertappt – genügend Leute fand, die seine Unschuld beeideten. Wurde der Diebstahl also nicht sofort „ausgerufen“ und war die Tat nur wenigen bekannt, so war es dem Viehdieb ein Leichtes, ausreichend Zeugen finden, die für ihn sprachen.
Spruch gegen Viehdiebe
Auch der nächste Spruch – ebenfalls aus der Lacnunga – verbindet Christen- und Heidentum. Hier wird die Kreuzfindungslegende der Heiligen Helena angesprochen. Unverkennbar ist, wie sehr sich die beiden Sprüche ähneln. Abweichungen gibt es fast nur in der Wortwahl und der Formulierung. Das deutet darauf hin, dass der Schreiber des Büchleins mündliche Überlieferungen niedergelegt hat.
Weder gestohlen noch verborgen sei nichts, das ich besitze,
ebenso wenig wie Herodes unsern Herrn stehlen konnte.
Ich gedachte der Heiligen Helena
und ich gedachte Christus am Kreuze gehangen;
ebenso gedenke ich dieses Vieh zu finden,
es somit nicht weit wegzulassen,
und es zu beaufsichtigen,
es somit nicht zu schädigen,
und es zu lieben,
es somit nicht wegzuleiten.
Garmund, Gottes Diener, finde dieses Vieh
und bringe dieses Vieh zurück
und habe dieses Vieh und halte dieses Vieh
und bringe heim dieses Vieh.
Möge er niemals haben Land, dass er es das Vieh hinleite,
noch Boden, dass er es fortbringe,
noch Wohnplätze, dass er es zurückhalte.
Wenn dies jemand täte, soll es ihm niemals zum Nutzen sein!
Binnen dreier Nächte kenne ich seine Macht,
seine Stärke und seine Kräfte und seine Schutzkünste.
Ganz soll er vergehen, wie trockenes Holz im Feuer vergeht,
so brüchig sei er wie eine Distel.
Wer der dieses Vieh wegzubringen gedenkt
oder diese Güter wegzunehmen gedenkt.
Amen.
In Deutschland sind ebenfalls zahlreiche alte Sprüche gegen Viehdiebe überliefert. Einen möchte ich Ihnen hier zeigen. Er stammt aus dem magisch-sympathetischen Hausschatz . Unter diesem Titel erschien vor gut 170 Jahren in Dresden ein Buch, in dem Zauberformeln, Heilsprüche und Schutzsegen wider allerlei Anfechtungen aus dem überlieferten Volksglauben enthalten sind. Ursprünglich wurde die
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