Magier des dunklen Pfades 1 - Die Suche (German Edition)
Ohnmacht.
„Kommt“, sagte Gerom, „ich bringe euch zu meiner Taverne. Dort könnt ihr euch erholen.“
Einen Moment zögerte der Mann. Nach einem besorgten Blick auf seine Gefährtin nickte er. „Danke.“
Mit einem unwilligen Schnauben stemmten sich die Ponys ins Geschirr.
Gerom ritt voran. Obwohl er eigentlich gar keine Lust dazu verspürte, drehte er sich nach einiger Zeit im Sattel herum. Keiner sollte sagen, Gerom Orfolei trete die Regeln der Gastfreundschaft mit Füßen – selbst wenn sein Gegenüber da weniger Skrupel zeigte.
„Ich heiße übrigens Gerom.“
„Lorgyn“, erwiderte der Mann leise. „Und das ist meine Frau, Aluna.“
„Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen.“
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, kam es zurück.
Unmerklich zuckte Gerom mit den Schultern. Wenigstens war er nicht der Einzige, der log.
*
Gerom kam sich fehl am Platz vor, und das in seiner eigenen Herberge! Er stand abseits des Bettes, in dem Aluna schlief, ihre Atemzüge begleitet von einem Rasseln. Sie hatte schwarzes, glattes Haar – ähnlich dem von Laris, nur ohne Locken – sanfte Lippen, und ihre Wimpern waren lang und zart. Wirklich hübsch, doch die düsteren Schatten der auf dem Nachttisch flackernden Kerze, die über ihre Züge huschten, wirkten wie die Schwingen des Todes.
Der Mann, Lorgyn, sah seine Frau an, bewegungslos, wie zu Stein geworden. Kein Muskel regte sich in seinem Gesicht. Seine Trauer merkte man ihm trotzdem an. Sie hatte sich in seinen dunklen Augen eingenistet und flackerte dort, ähnlich den Schattenspielen der Kerze.
Auch sein Haar war schwarz wie ein Rabenflügel, sein Gesicht, wenn man es von der Seite im Kerzenschein betrachtete, edel und fein, und auch ein bisschen zerbrechlich. Bestimmt kein Arbeiter oder Handwerker. Dafür war er zu schlank, ohne breite Schultern. Schwach wirkte er dennoch nicht. Lag wahrscheinlich an den Augen.
Die Stille im Raum drückte Gerom auf die Brust. Laris, die schweigend neben ihm stand, knabberte an der Unterlippe, und ihr Blick tastete von der Frau zu Lorgyn und wieder zurück.
„Ich werde nach einem Heiler schicken lassen“, sagte Gerom schließlich.
Lorgyn erwachte aus seiner Starre und sah ihn an. „Kein Heiler dieser Welt kann ihr mehr helfen.“ Er presste die Lippen zusammen, und einen Moment lang kämpfte er mit den Tränen.
Zum ersten Mal spürte Gerom Mitleid, und innerlich vergab er dem Mann für sein unhöfliches Gebaren.
Wie hätte ich mich wohl gefühlt, wie hätte ich mich wohl verhalten, wenn Vlaja nicht ein Unfall, sondern eine lange, qualvolle Krankheit dahingerafft hätte? Wenn ich nichts dagegen hätte tun können? Nur warten und leiden …
„Ich kann Euch verstehen. Dennoch sollte sich jemand um sie kümmern, der sich auskennt. Duria, unsere Heilerin hier in Eisbach, versteht ihr Handwerk. Und wenn sie Eurer Frau nur das Atmen etwas leichter machen kann, hat es sich gelohnt.“
„Duria ist sogar in der Perle“, warf Laris ein. „Sie ist vorhin gekommen, während du weg warst.“
Lorgyn schien einen Moment nachzudenken, während er Laris mit unergründlichem Blick musterte. Dann nickte er.
Was gab es da zu überlegen? Gerom wurde aus Lorgyns Verhalten nicht schlau. Einerseits schien ihn die Sorge um Aluna verrückt zu machen, andererseits legte er eine unerklärliche Zurückhaltung an den Tag. Lag es am Geld? Konnte er Duria nicht bezahlen? Nein, das war es nicht: Lorgyns Umhang war aus fein gewebtem Stoff, und kunstvoll gestickte Geflechte aus silbernen Ranken zierten den Kragen und die Ärmel seines Oberhemdes.
Laris ging, um Duria zu holen.
Lorgyn wandte sich wieder zu seiner Frau um. Man sah ihm an, dass ihm hunderte Gedanken gleichzeitig durch den Kopf rauschten, und obwohl man das Wegdrehen abermals als Unhöflichkeit werten konnte, befasste sich Gerom lieber mit der Frage, wer sonderbarer war: Lorgyn oder Arlo, der wirre Historiker? Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
Hoffentlich kommen nicht mehr solcher Gestalten hierher, dachte Gerom, wusste jedoch, dass diese Hoffnung vergebens war: Die Heilenden Quellen wurden immer bekannter, und so lockte es mehr und mehr Menschen nach Wintertal, alle mit der Hoffnung im Gepäck, hier eine Linderung ihrer Gebrechen zu erfahren. Bestimmt war Lorgyn deswegen hier. Aber – warum so spät? Warum, wenn Durlums Atem bereits durch Wintertal kroch? Er konnte von Glück sagen, dass er es überhaupt geschafft hatte.
Schritte auf der Treppe, ein Wechselspiel
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