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Magier von Moskau

Magier von Moskau

Titel: Magier von Moskau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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spät: Der Revolver, als hätte er sich endlich entschlossen, fiel in die Tiefe.
    Ein paar dumpfe Aufschläge. Stille.
    Der Doge machte sich den Umstand zunutze, daß ich ihm den Rücken zukehrte, packte mich mit einer Hand am Kragen, mit der anderen am Rockschoß und zerrte mich zu der Grube. Noch eine Sekunde, und alles wäre aus gewesen, aber da bekamen meine Hände einen Fuß des Schreibtischs zu fassen. Ich umklammerte ihn so fest ich konnte. Mein Kopf schwebte schon über dem Loch, aber Blagowolski bekam mich keinen Zentimeter mehr von der Stelle, wie sehr er sich auch anstrengte.
    In der äußersten Anspannung aller Kräfte hatte ich nicht gleich hinuntergeschaut – auch brauchten die Augen Zeit, sich an die Finsternis zu gewöhnen. Zuerst sah ich ein seltsames rechteckiges Gebilde, das sich undeutlich in der Dunkelheit abzeichnete, und erst einen Moment später begriff ich, daß es der zur Seite gekippte Sessel war – kaum mehr als einen Meter hinuntergestürzt und im Brunnen steckengeblieben. Unterhalb des Sessels erspähte ich zwei weiße Flecke. Sie bewegten sich, und ich erriet: das sind Manschetten, herausgerutscht aus Gendsis Lederärmeln! Die Hände selbst waren nicht zu sehen, aber die gestärkten Manschetten durchdrangen die Dunkelheit. Also hatte sich Gendsi an dem steckengebliebenen Sessel festhalten können!
    Diese Entdeckung machte mir Mut, obwohl es eigentlich |297| keinen Grund zur Freude gab: Wenn Gendsi keine Hilfe bekam, würde er sich höchstens noch zwei, drei Minuten halten können und dann doch abstürzen. Aber wer sollte ihm helfen? Blagowolski vielleicht?!
    Zum Glück konnte der Doge nicht in den Schacht blicken, und so wußte er nicht, daß sein Hauptgegner, freilich völlig hilflos, noch lebte.
    »Horatio, spielst du Schach?« sagte plötzlich der Doge keuchend hinter mir.
    Ich glaubte mich verhört zu haben.
    »Die entstandene Situation wird im Schach Patt genannt«, fuhr er fort. »Leider reichen meine Kräfte nicht, dich in den Brunnen zu stoßen, und du kannst das Tischbein nicht loslassen. Sollen wir bis ans Ende aller Zeiten so liegen? Ich habe einen besseren Vorschlag. Da Gewalt nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hat, kehren wir in den zivilisierten Zustand zurück. Das heißt, wir verhandeln.«
    Er ließ meinen Kragen los und erhob sich. Ich sprang auch eilig auf und entfernte mich möglichst weit von der Luke.
    Wir sahen beide mitgenommen aus: Blagowolskis Krawatte war verrutscht, sein graues Haar zerzaust, der Gürtel des Hausmantels herabgeglitten; ich stand ihm nicht nach: ein Ärmel zerrissen, die Knöpfe abgefetzt, und als ich meine Brille aufhob, sah ich, daß das rechte Glas gesprungen war.
    Ich war völlig ratlos, wußte nicht, was tun. Hinauslaufen, den Polizisten holen, der auf dem Trubnaja-Platz stand? Bis ich mit ihm zurück war, würden zehn Minuten vergehen. So lange würde Gendsi nicht durchhalten. Unwillkürlich blickte ich mich nach der Luke um.
    »Du hast recht«, sagte Blagowolski und schlang den Gürtel um den Mantel. »Die Grube lenkt nur ab.«
    |298| Er ging zum Tisch, drehte den Recken in die entgegengesetzte Richtung, und der Lukendeckel schlug rasselnd zu. Nun konnte Gendsi überhaupt nichts mehr sehen.
    »Jetzt sind nur noch wir zwei da, du und ich.« Prospero sah mir in die Augen, und ich fühlte wieder die magnetische Wirkung seines Blicks, der etwas Einlullendes und zugleich Anziehendes hatte. »Bevor du eine Entscheidung triffst, möchte ich, daß du auf dein Herz hörst. Mache keinen Fehler, du würdest ihn dein Leben lang bereuen. Hör mir zu, sieh mich an, glaube mir. Wie du mir früher geglaubt hast, bevor dieser fremde, überflüssige Mann in unsere Welt eingedrungen ist und alles zerstört und verdorben hat …«
    Seine klangvolle samtene Stimme strömte dahin, und ich achtete kaum noch auf den Sinn der Worte. Jetzt weiß ich, daß Prospero mich hypnotisiert hat, und zwar recht erfolgreich. Ich bin leicht zu beeinflussen und unterwerfe mich gern dem Willen eines Stärkeren, was Ihnen ja aus eigener Erfahrung bestens bekannt ist. Außerdem bin ich nun einmal so veranlagt, daß Unterwerfung mir Genuß bereitet – ich löse mich gleichsam in der Persönlichkeit eines anderen Menschen auf. Als Gendsi noch in der Nähe war, gehorchte ich widerspruchslos ihm, nun aber stand ich im Banne der schwarzen Augen und der hypnotischen Stimme des Dogen. Ich schreibe darüber sachlich und mit Bitterkeit und bin mir der schmählichen Besonderheiten

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