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Magische Insel

Titel: Magische Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. E. Modesitt
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angewurzelt blieb ich stehen.
    Sie hob den Dolch und richtete ihn gegen die eigene Brust.
    Ich warf alles an Ordnung, das ich noch in mir hatte, in den Dolch, um die Klinge vom Chaos abzulenken.
    »Ohhhh.« Die Muskeln an ihren Armen traten hervor, als sie versuchte, die Dolchspitze zur Brust zu führen. Ich machte einige unsichere Schritte vorwärts und konzentrierte meine Ordnungs-Gefühle auf sie.
    Sie ließ den Dolch fallen. Dann versagten ihre Knie, sie fiel gegen einen Stuhl und dann auf den Boden.
    Ich schleppte mich über die weißen Marmorplatten zu ihr. Wie eine Puppe lag sie zwischen dem Kamin und dem Tisch aus weißer Eiche.
    Ich drehte sie auf den Rücken. Dann blickte ich zum Weißen Magier. Er war immer noch ein Häuflein Asche. Doch dann verwandelte sich die Asche in feinen weißen Staub und verschwand in den dünnen Nebelschwaden, die das Haus erfüllten. Nur die weißen Gewänder und die weißen Stiefel blieben auf den weißen Marmorplatten liegen.
    Ich blickte auf Sephya. Ein rötlicher Schein hatte sich auf das schwarze Haar gelegt.
    Mir drehte sich der Magen um, als ich meine letzte Energie sammelte, um das mentale Schloss aufzubrechen, mit dem Antonin sie gefangen hielt, um der Frau zu gefallen, die ewige Jugend begehrte und sich zu diesem Zweck eines unschuldigen Opfers aus Recluce bedient hatte.
    Bis jetzt hatte ich lediglich vermutet, was man ihr, nicht als Sephya, sondern als eine andere Seele angetan hatte, die in Antonins Netz gefangen war. In gewisser Weise waren beide Frauen, Sephya und Tamra, gefangen. Aber Sephya hatte zugestimmt, obgleich sie wusste, dass Tamra im Laufe der Zeit unter Sephyas Persönlichkeit dahinwelken würde und dass Antonin diesen Prozess beschleunigte. Der Weiße Magier hatte nicht wirklich gelogen. Er hatte Tamra glauben lassen, sie würde lernen, die Kräfte zu kontrollieren, die man ihr bisher stets verweigert hatte. Tamra hatte nicht gewusst, dass Sephya ihren Körper kontrollierte.
    Dank Talryn und Recluce hatte Tamra nie gelernt – ebenso wenig wie ich –, dass sie diese Kräfte bereits besaß. Tamra hatte sich allerdings geweigert, ihre Kräfte anzunehmen, und darauf bestanden, jemand müsse sie zuvor für dafür würdig erklären. Ich dagegen hatte ständig nach Gründen gefragt, anstatt zu handeln. Für mich waren die Gründe beinahe eine Entschuldigung geworden, nicht zu handeln.
    Ich holte tief Luft. Jetzt musste ich schnell handeln, ehe mich der Mut verließ, wie es wohl meinem Vater ergangen war.
    »Lerris, das darfst du nicht tun!«
    Ich überging die Warnung wie aus weiter Ferne und blickte auf die geschlossenen Augen der zarten Frau mit dem roten Haar. Tränen strömten über mein Gesicht, aber auch sie nahm ich kaum wahr. Ich musste handeln. Hätte ich früher zugehört … doch das war eine andere Frage. Wir alle wählen unsere eigene von Dämonen bewohnte Hölle.
    Nochmals ein tiefer Atemzug, dann stürzte ich mich tief hinein in die Dunkelheit, fort von den Wirbeln meiner Gedanken, fort von den zerknautschten Gewändern, den einzigen Überbleibseln des Weißen Magiers, dessen Festung alsbald einstürzen würde.
    Man kann die Tiefen des Verstandes Weiße Dunkelheit nennen, das Chaos, das dem Chaos vorausging. Man kann es nennen, wie man will, es bleibt Chaos, ein Chaos, so gestaltlos, dass man es nicht zu beschreiben vermag.
    Als erstes musste ich im Chaos die Muster finden, die jetzt dort wirkten, und die, die es früher getan hatten. Ich bemühte mich nicht, die Bedeutung dieser Muster zu ergründen, das wäre eine weitere Vergewaltigung gewesen. Ich stellte fest, dass ich einen hauchdünnen Faden nur berühren musste, um ihm die ursprüngliche Lage im Gespinst zurückzugeben. Ich las nicht die Freuden, die Tränen, die Wut oder die Langeweile, die die Fäden enthielten, sondern brachte sie nur wieder in die Stellung, die sie eingenommen hatten, ehe Antonin Tamras Tempel in Sephyas Hurenhaus verwandelt hatte. Dennoch zerrten die verborgenen Gefühle an meinen eigenen Ängsten und meinem Wert. Hatte ich das Recht? Wer ernannte mich zum Richter, dass ich entschied, wer leben und wer sterben sollte?
    Ich tat, was ich tun musste.
    Wie lange das dauerte? So lange, wie mein Vater für die Zerstörung Frvens brauchte. Ich war sicher, dass er und Justen, die beiden Brüder, das getan hatten. Danach hatte der eine eine Nation errichtet, um sicherzugehen, dass Chaos nie wieder herrschen würde, und der andere hatte sich dem Dienst an den Verdammten

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