Magma
ihn von der Entscheidung, ob er als Pionier in die Geschichte eingehen oder als Leiche enden würde. Halt, nein, sagte er sich. Eine Leiche würde es nicht geben. Schließlich würde er ja verdampfen. Mit einem mulmigen Gefühl näherte er sich dem Ungetüm. In seinen Gedanken erwartete er jeden Moment einen Blitz, der die Luft in ein kochendes Inferno verwandeln und ihn in Sekundenbruchteilen pulverisieren würde. Doch nichts geschah. Außer einem leichten Summen war nichts zu spüren.
Während er so dastand und seine Ängste abzuschütteln versuchte, wurde ihm bewusst, dass fünfzehn Augenpaare auf ihn gerichtet waren. Fünfzehn Wissenschaftler, die ihn beobachteten. Und alle warteten darauf, dass er endlich anfing.
Also kniete er sich hin und setzte die Spitze des Meißels auf die Stelle, die er ausgewählt hatte. Es dauerte eine Weile, bis er den richtigen Punkt gefunden hatte. Dann atmete er tief durch und schlug zu. Es gab ein Krachen. Der Hammer federte mit einem singenden Geräusch zurück in seine Hand. Colin wartete eine Weile, dann wiederholte er den Vorgang. Der Gedanke, dass das Geheimnis um die Öffnung der Kugel in direktem Zusammenhang mit Schwingungen stand, war ihm schon früher gekommen – zu jenem Zeitpunkt, da Ella Jordan von den Schwingungen während des unterseeischen Bohrvorgangs gesprochen hatte. Vielleicht reagierte die Kugel nicht auf den Schlagvorgang selbst, sondern auf die Frequenz, mit der ein Meißel auf der Oberfläche vibrierte.
Noch einmal schlug er zu.
Es gab ein knackendes Geräusch. Colin zuckte zurück. Wo eben noch eine vollkommen gleichförmige Oberfläche war, hatte sich ein schmaler Spalt aufgetan. Ein Riss, der sich, während er zusah, immer weiter ausdehnte. Erst ein Stück gegen den Uhrzeigersinn und dann um die gesamte südpolare Region der Kugel herum. Der Spalt isolierte ein etwa handtellergroßes Stück der metallischen Oberfläche. Beinahe wie eine Eisscholle, die von einem Eisberg abbrach. Ein Zischen war zu hören. Gleichzeitig glaubte Colin, ein dunkles Glühen in der Tiefe zu bemerken. Langsam und mit atemberaubender Präzision hob sich die Teilfläche, bis sie etwa drei Zentimeter über die Oberfläche hinausragte. Dann verebbte die Bewegung. Colin wischte sich den Schweiß von der Stirn. So weit, so gut. Es war an der Zeit, sich dem nächsten neuralgischen Punkt zu widmen. Er konsultierte sein Notebook, dann ging er auf die andere Seite der Sphäre und wählte eine Stelle, etwa auf der Höhe des Äquators. Sich mehrmals vergewissernd, dass er sich auch bestimmt nicht geirrt hatte, stellte er den Computer beiseite und setzte erneut den Meißel an. Drei Schläge, dann hob sich auch hier ein Stück der Oberfläche. Als auch ein dritter Punkt wunschgemäß reagierte, trat Colin einen Schritt zurück. So weit war er in seiner gestrigen Testreihe auch schon gekommen. Es standen aber noch drei Punkte aus. Sie befanden sich auf der Nordhalbkugel und waren schwer zu erreichen. Mit ihrer Aktivierung betrat er Neuland. Terra incognita.
Nur mit Hammer und Meißel bewaffnet, trat er auf die Standfläche am Ende des Teleskoparms und betätigte den Steuerungshebel. Die obere Hälfte der Kugel war nur durch die Luft zu erreichen. Genau hier saßen die letzten drei Punkte.
Die Servomotoren an den Gelenken surrten leise, als der Roboterarm ihn in die Luft hob. Colin hielt sich am Haltebügel fest, während der Arm ihn höher und höher trug. Als er die Oberseite erreicht hatte, stoppte er die Fahrt. Die gesuchten Punkte lagen relativ dicht beieinander, der letzte beinahe auf Höhe des Nordpols. Colin verengte seine Augen zu Schlitzen, während er sich orientierte. Das Notebook brauchte er jetzt nicht mehr. Immer und immer wieder war er die Oberflächenmerkmale im Geiste durchgegangen. Er hatte sogar davon geträumt. Langsam streckte er die Hand aus und ließ sie auf die Oberfläche niedersinken. Dann strich er über das genarbte Metall. Wie ein Blinder, der zu lesen versuchte. Endlich fand er, wonach er suchte. Er setzte den Meißel auf, hob den Hammer und schlug zu.
Dreimal.
Zischend hob sich eine weitere Platte. Ohne darauf zu warten, bis sie sich in ihre Endposition bewegt hatte, nahm er den Meißel und setzte ihn etwa fünfzig Zentimeter entfernt ab. Drei Schläge, dann hob sich auch dieser Teil. Genau wie er vorausgesagt hatte. Vom Erfolg berauscht und angetrieben von Ungeduld, beugte er sich weit über die Kugel, um sein Werk zu vollenden. Sein Oberkörper lag
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