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Magma

Magma

Titel: Magma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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greifbar. Wenn sie die Augen schloss, hörte sie wieder die Schläge gegen die Tür und das Entsichern der Waffe. Sie sah den drohenden Schatten vor sich aufragen und den Lauf der Pistole, der auf ihren Kopf zielte. Ab diesem Zeitpunkt begannen ihre Erinnerungen zu verschwimmen, vermischten sich mit anderen tröstlicheren Bildern aus einer Zeit, die Ewigkeiten zurückzuliegen schien. Sie wusste nicht warum, aber auf einmal musste sie wieder an Cathy denken. An ihr kleines Mädchen und deren neue Familie. Sie dachte an ihr helles Lachen, ihre fliegenden Zöpfe und ihre leuchtenden Augen. Wie es ihr wohl gerade ging? Was mochte sie gerade tun? Ob sie wohl jemals an sie dachte? Oder hatte sie ihre Mutter ganz vergessen? Sie war damals vier gewesen, als Ella sie verlassen hatte. Das war vor sechs Jahren gewesen. Wahrscheinlich war Cathy inzwischen ein fremder Mensch geworden. Ella fühlte Tränen auf ihren Wangen.
    »Sie weinen.« Konrad Martin beobachtete sie aus den Augenwinkeln heraus. Es war keine Frage, nur eine simple Feststellung.
    Ella wischte sich übers Gesicht. »Ach nein«, log sie, doch ihre feuchten Augen straften ihre Worte Lügen. »Es ist nichts. Vielleicht der Luftstrom.« Sie fummelte demonstrativ am Gebläse herum. Doch statt ihn abzustellen, drehte sie ihn nur stärker. »Ach verdammt«, murmelte sie und schraubte in die entgegengesetzte Richtung. Plötzlich legte Martin seine Hand auf ihren Unterarm. Sie zog ihn zurück, als habe sie einen elektrischen Schlag erhalten. Immer noch waren ihr die flechtenartigen Auswüchse in Erinnerung, die aus seinen Fingern gewachsen waren. Martin tat so, als habe er nichts bemerkt und schloss mit einem Handgriff die Düse. »Sie brauchen mich nicht zu belügen«, sagte er mit sanfter Stimme. »Sie haben gerade an Ihre Tochter gedacht.«
    »Meine …? Woher wissen Sie das?« Ihre Traurigkeit war wie weggeblasen. Sie konnte sich nicht erinnern, ihm jemals von Cathy erzählt zu haben.
    »Wissen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
    »Aber …«
    »Wissen kann man das nicht nennen. Ich habe es
gespürt.«
Er drehte den Kopf in ihre Richtung, und zum ersten Mal, seit sie sich begegnet waren, sah er ihr direkt in die Augen. Ella spürte einen Stich im Herzen. Da war etwas in seinem Blick, das sie nicht erklären konnte. Etwas unendlich Fremdes und etwas zutiefst Vertrautes. Seine Augen schienen bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken. »Warum versuchen Sie nicht, Ihre Tochter wiederzusehen?«, fragte er. »Ich sehe doch, wie sehr Sie unter der Situation leiden.«
    Ella konnte dem Blick nicht länger standhalten. Sie ließ den Kopf hängen.
    »Wenn Sie meinen Rat hören wollen«, sagte der Professor, »wehren Sie sich nicht länger dagegen. Sie würden sonst daran zerbrechen. Wenn Ihre Arbeit hier beendet ist, sollten Sie den Kontakt wieder aufnehmen. Noch ist es nicht zu spät.«
    Trotzig hob Ella den Kopf. Eigentlich hatte sie vor, ihm zu sagen, dass er nicht ihr Psychiater sei und sich seine weisen Ratschläge sonst wo hinstecken könne, aber ein Blick in seine Augen ließ sie verstummen. Er meinte es ehrlich. Seine Anteilnahme war nicht geheuchelt. Und wieder erinnerte sie sich an Helène Kowarskis Worte.
Er fühlt sich zu Ihnen hingezogen. In Ihnen erkennt er eine verwandte Seele.
    »Warum sind Sie mir gefolgt?«, flüsterte sie. Die Worte verließen ihre Lippen wie von selbst. »Warum haben Sie mich gerettet? Mich, die ich Sie im Stich gelassen habe.«
    Martin legte seine Stirn in Falten. Er schüttelte den Kopf, als verstünde er nicht, wovon sie redete. »Warum denn nicht? Als ich hörte, dass Sie nach Deutschland aufgebrochen sind, bin ich Ihnen sofort gefolgt. Madame Kowarski und ich waren uns einig. Als ich am Teleskop eintraf und hörte, dass Sie bereits oben waren, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht. Es lag etwas in der Luft. Etwas, das ich nur schwer beschreiben kann. Eine Bedrohung, die spätestens dann zur absoluten Gewissheit wurde, als ich den toten Körper des Stationsvorsitzenden auf dem Asphalt liegen sah. Ich rannte nach oben und tat, was getan werden musste.«
    »Bitte, Professor –
Konrad«,
Ellas Stimme bekam etwas Flehendes. »Hören Sie auf, in Rätseln zu sprechen. Warum sind Sie mir gefolgt? Ich habe Sie in Sibirien Ihrem Schicksal überlassen. Es war mir scheißegal, was aus Ihnen wird. Meinetwegen hätten Sie vor die Hunde gehen können, so erschrocken war ich über das, was ich gesehen habe. Natürlich bereue ich

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