Magna Mater - Roman
Lufthülle mehr belastet als die Menschheit in einem ganzen Jahrzehnt, steht nicht außerhalb der Schöpfung, weil er ihren Ablauf stört. Und das gilt auch für uns. Wir stehen keinesfalls als Störenfried außerhalb der Natur. Welch eine Anmaßung ist es, zu glauben, dazu seien wir fähig. Wir sind ein Teil des Ganzen, ein sehr wesentlicher Teil.«
»Und das alles sagen euch die Stimmen?«, fragte ich ungläubig. Er überhörte meinen Zweifel und fuhr fort: »Das Leben verläuft in immer wiederkehrenden Kreisen: Tag und Nacht, Sommer und Winter, Eiszeit und Warmzeit. Manche sind so groß, dass wir Kurzlebigen sie nicht wahrzunehmen vermögen. Dennoch spielen wir in ihnen entscheidende Rollen. So ist es unsere Aufgabe, das Erdklima anzuheben und damit die Polkappen zum Schmelzen zu bringen. Wir müssen bestimmte Arten ausrotten, um für andere Platz zu schaffen. Mit Hilfe der Radioaktivität, dem Elektrosmog und dem chemisch belasteten Wasser haben wir jede Menge Mutationen in Gang gesetzt.«
Ich widersprach: »Das waren die Menschen des Atomzeitalters. Wir haben diese unglückselige Entwicklung aufgehalten.«
»Niemand vermag diese Entwicklung aufzuhalten. Unsere Aufgabe ist es lediglich, ihr mehr Zeit einzuräumen, denn sie verlief zu schnell.«
Auf dem Rückweg den Strand entlang beobachteten wir schweigend, wie die Sonne im Meer versank. Im Weitergehen sagte Estragon: »So wie dieser Tag zu Ende geht, so neigt sich auch unser großer Kreislauf seinem Ende zu. Verglichen mit dem Jahreslauf befinden wir uns bereits im Winter. Der Homo sapiens hat seine Aufgabe erfüllt. Er wird aussterben, fast aussterben. Es ist unsere Aufgabe, zu verhindern, dass das nicht vollends geschieht.«
29. KAPITEL
I n der Felswand nisteten Tauben. Einige saßen noch auf ihren Eiern. Bei anderen waren die Jungen schon geschlüpft. Gierig rissen sie die kleinen Schnäbel auf. Ununterbrochen kamen die Alten herbeigeflogen, um ihren Hunger zu stillen.
»Die Kleinen wollen Tag und Nacht versorgt werden«, sagte Karras. »Die Brut nimmt viel Zeit in Anspruch.«
»Die Brut nimmt viel Zeit in Anspruch.« Der Satz ging mir nicht aus dem Sinn. Da das auch für uns Menschen gilt, kann die Brutstation nicht irgendwo liegen. Sie muss sich hier befinden. Ich nahm mir vor, noch einmal in die Termitenburg der Igelköpfe einzudringen, und wartete auf eine günstige Gelegenheit. Doch bevor es dazu kam, ereignete sich etwas Schreckliches.
Ich hatte Jakaranda schon seit Tagen nicht mehr gesehen, als mich Abelard fragte, wie wir Ordensfrauen Schlangenbisse behandelten, ob es ein schnell wirkendes Mittel gegen Otterngift gebe. Einer der Ihren sei von einer Kobra gebissen worden.
»Wer?«
»Der Junge mit den blauen Augen.«
»Jakaranda!«
»Nein, nicht Jakaranda. Jasmin. Er heißt Jasmin.«
»Wo ist er?«
»Im Turm.«
»Kann ich zu ihm?«
»Nein, natürlich nicht.« Er blickte mich kopfschüttelnd an. »Kennst du denn solch ein Mittel?«
Von Karras erfuhr ich, eine Kobra habe Jakaranda in den Fuß gebissen. Es gehe ihm schlecht, sehr schlecht.
Ich musste zu ihm. »Im Turm«, hatte Abelard gesagt. Mein Sohn steckte also in einer Heilschlafgondel.
Verborgen hinter der Hibiskushecke beim Palmengarten, beobachtete ich das große Tor. Ich wartete, bis der Letzte sein Labor verlassen hatte. Es regnete, sodass sich die Männer, ohne Aufenthalt im Freien, gleich in den gegenüberliegenden Wohntrakt zurückzogen. Ich wartete noch eine Weile, dann schlich ich mich zu dem großen Tor, stieg die Treppe empor und lief zu dem Schacht am Ende des Ganges, den ich bereits bei meinem ersten Besuch entdeckt hatte. Die Schaltanlage, mit deren Hilfe die Gondeln abgerufen werden, befand sich wie erwartet in dem angrenzenden Behandlungsraum. Die Technik war mir vertraut. Schließlich hatte ich ja selber einmal in solch einem Korallinei gesteckt. Aber da gab es viele Eier in dem Turm. Dicht an dicht hingen sie dort wie die Beeren einer Weintraube. Welchen Hebel musste ich umlegen, damit die gesuchte Heilgondel herbeigeschwebt kam? Egal, ich würde sie alle heranholen, eine nach der anderen, bis ich die richtige fand.
Aber was dann? Wie konnte ich ihm helfen, wenn ich ihn wirklich fand? Ich verdrängte die Frage. Vielleicht starb er bereits.
Da zog ich den Hebel, ohne zu zögern.
Zum Zeichen, dass sich etwas tat, leuchtete an der Schalttafel ein Licht auf. Ich blickte in den Schacht und sah, wie sich eine Beere von der Traube löste und herbeigeschwebt kam. Sie
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