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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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…«
    »Ja, vielleicht arbeitet in diesem Augenblick auch ein Parasit an deinem Großhirn«, unterbrach ich ihn. »Und du wirst gezwungen sein, etwas zu tun, das deinem Wesen völlig widerspricht.«
    Karras blickte mir in die Augen und sagte: »Du begreifst schnell.«
    Unter den Skarabäen war Karras der Einzige, mit dem mich mehr verband als die Ordenszugehörigkeit. Schließlich war er der Vater meines Kindes. Obwohl er nie darüber sprach, ließ er mich spüren, dass er mich mochte.
    Trotzdem hielt er mich auf Distanz. Meinen Fragen wich er aus. Dann schüttelte er missbilligend den stachligen Kopf und schwieg. Sein Schweigen verriet mir mehr, als Worte es vermocht hätten: Es gab eine Grenze, die nicht überschritten werden durfte.
    Das Mysterium unseres Werdens und Vergehens wird von den Skarabäen gehütet wie ein kostbarer Schatz. Über den letzten Dingen liegt ein Schleier undurchdringlichen Schweigens. Die meisten Menschen unserer Zivilisation erblicken das Licht der Welt, ohne geboren zu werden, und verlieren ihr Leben in dem Moment, in dem sie es am vitalsten erleben. Man hat ihnen erzählt, wie das abläuft, aber keiner, nicht einmal die Magna Mater, kennt das schaurige Geschehen aus eigener Anschauung, will es auch nicht kennenlernen. Zu groß ist das Grauen.
    Aber hatte ich nicht den Auftrag, herauszufinden, warum das große Geheimnis verletzt worden war und wie sich dergleichen in Zukunft verhindern ließe? Dafür musste ich aber mehr über diese letzten Dinge in Erfahrung bringen.
    Wenn es mir bisher nicht gelungen war, die verborgene Brutstation zu betreten, dann wollte ich wenigstens die andere Seite des Lebensweges erkunden, die Gräber der Verblühten.
    Der Misserfolg raubte mir die Ruhe. Ich lag wach auf meinem Bett und wünschte, ich könnte schlafen. Warum eigentlich? Wenn ich schlafe, bin ich nicht mehr. Und trotzdem sehne ich mich nach ihm. Möchte ich ausgelöscht werden? Nein, ich liebe das Leben. Ich bin nicht mehr jung. Warum sehne ich mich danach, dass mir der Schlaf die Tage, die mir noch bleiben, nimmt?
    Später, als der Mond über der Schlucht aufgeht, spricht er im Traum zu mir: »Ohne Schlaf wäre euer Leben wie ein einziger Tag. Der Schlaf macht aus einem Tag unsagbar viele. Jedes Erwachen ist eine Wiedergeburt, jeder Schlaf ein Tod. Morgen und Abend, Blüte und Reife, wie unerträglich wäre das Leben ohne diesen Wechsel. Ewiges Wachsein – das wäre wie ewige Sonne. Die Welt wäre eine Wüste.«

28. KAPITEL
    I m Morgengrauen war ich aufgebrochen. Nebeldunst lag auf dem Land. Als ich das Schmetterlingstal im Süden der Insel erreichte, brannte die Sonne unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel. Der Boden war staubtrocken und rissig, ein wahrer Totenacker. Es gab weder Blumen noch Schmetterlinge.
    Türme aus Kieselsteinen, mannshoch übereinandergestapelt, zeigten die Grablegen an. Die ältesten am westlichen Ausgang des Tales waren bereits eingefallen. Die Bestattungen waren offensichtlich in chronologischer Reihe erfolgt. Die neueren Gräber lagen im Osten. Es war noch keine vier Monate her, dass die letzten Toten hier bestattet worden waren. Aber die letzten Grabtürme erweckten nicht den Eindruck, als wären sie erst vor Kurzem errichtet worden. Altes Moos und verdorrtes Gras füllte die Ritzen der sonnengebleichten Steinhaufen.
    Ich ließ mich auf einem Felsblock nieder und beobachtete die Eidechsen, die sich auf den Kieseln sonnten. Schwere, runde Kiesel, wie mit dem Boden verwachsen. Sie waren offensichtlich nicht erst vor wenigen Wochen hier aufgestapelt worden. Wo aber befanden sich dann die frischen Gräber? Dass man die zuletzt Verstorbenen irgendwo anders bestattet hatte, ergab keinen Sinn. Es gab eigentlich nur eine vernünftige Erklärung: Die Toten lagen noch gar nicht unter der Erde. Wo aber befanden sie sich dann? Dienten sie den Skarabäen zu irgendwelchen Forschungszwecken?
    Ich dachte an dunkle Kühlräume, in denen Leichen lagerten und darauf warteten, seziert zu werden. Bei meinem Rundgang durch die Laboratorien waren mir keine Räume aufgefallen, in denen man Sektionen an Leichenteilen hätte vornehmen können. Aber was besagte das schon? Hatte ich nicht auch die Brutanlagen vergeblich gesucht?
    Die Skarabäen wurden mir immer unheimlicher. Was war das für ein schauriges Geheimnis, das sie vor aller Welt so gründlich verbergen wollten?
    Als ich Abelard auszuhorchen versuchte, zitierte er einen alten Dichter der voratomaren Zeit: »Der Mensch versuche die

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