Magna Mater - Roman
Organismus kann solch einen Fremdkörper verkraften, ohne Schaden zu nehmen. Wir sollten sie mit den anderen Frauen im Tal der Schmetterlinge entsorgen.«
»Sie ist eine Ordensfrau, eine von uns«, sagte Estragon.
Rufus entgegnete: »Auch die Krebszelle ist ein Teil des Leibes, den sie bedroht. Wehret den Anfängen, bevor es zu spät ist.«
»Sie hat einem von uns das Leben gerettet«, ereiferte sich Cordobes, einer der jüngeren Skarabäen mit spärlichem Bartwuchs.
»Ja, das hat sie fürwahr«, rief Karras. »Sie hat mich …«
Estragon schnitt ihm mit einer energischen Handbewegung das Wort ab: »Wir wissen, was du ihr verdankst. Warum aber verfolgt sie einen von uns mit tödlichem Hass? Ohne unser Eingreifen hätte sie den Jungen umgebracht.«
»Sie hielt ihn in ihren Armen, als ob sie ihn beschützen wollte.«
»Beschützen. Vor wem?«
»Offensichtlich fühlt sie sich zu ihm hingezogen, ob aus Hass oder aus Zuneigung, wer vermag das zu sagen?«
»Wir werden das herausfinden«, sagte Estragon.
»Und wie willst du das anstellen?«, fragte Harun.
»Wir werden ihr erzählen, dass Jasmin dem Schlangengift erlegen ist. Mal sehen, wie sie darauf reagiert.«
Ob diese Zusammenkunft wirklich so stattgefunden hat, vermag ich nicht zu sagen, denn ich habe ja nicht daran teilgenommen. Aber solch ein Gespräch muss stattgefunden haben, damit das nachfolgende Geschehen einen Sinn erhält.
Die Träume im Fledermausturm sind ausnahmslos schön. Sie sind ein Teil der Heilung. Jakaranda war bei mir. Ich war sehr glücklich. Umso schmerzhafter war das Erwachen. Karras erklärte mir, ich sei in die Gondel gesteckt worden, weil ich einen Schwächeanfall erlitten hätte. »Nichts ist so heilsam wie der Fledermausturm.«
»Wurde auch er geheilt?«
»Wer?«
»Der Junge mit den jakarandablauen Augen.«
»Jasmin? Nein. Ihm war nicht mehr zu helfen. Das Gift war stärker.«
Der Schmerz traf mich wie eine Wehe. So wie es mir fast den Leib zerrissen hätte, als ich ihn gebar, so schmerzvoll erlebte ich seinen Tod. Der Magen krampfte sich mir zusammen. Ich musste mich erbrechen, wollte sterben.
»Sie liebt ihn«, meldete Karras den Skarabäen. »Sie leidet wie eine Tiermutter, der man die Brut weggenommen hat. Es ist so herzzerreißend, dass ich mich schäme, sie belogen zu haben.«
»Sie liebt ihn? Wie ist das möglich? Wo ist sie?«
»Sie hat sich in ihre Behausung verkrochen wie eine verwundete Wölfin.«
»Schaff sie herbei!«
»Lass ihr Zeit«, sagte Estragon. Er strich sich über die Bartstoppeln und meinte kopfschüttelnd: »Frauen, was für rätselhafte Kreaturen.«
Jakaranda, der längst wieder bei Kräften war, wurde befragt. Er konnte sich nicht erinnern, mir jemals begegnet zu sein. Wie konnte er auch, trug ich doch außerhalb des Ordens den Schleier. Hatte er sich bisher von mir bedroht gefühlt, so erfüllte ihn und alle anderen meine Zuneigung mit noch größerer Sorge.
Bis zur Klärung des Rätsels wurde beschlossen, mich in dem Glauben zu belassen, Jakaranda sei tot.
In der Nacht besuchte mich Karras. Er nahm mich in die Arme, ohne ein Wort zu sprechen. Was vermögen Worte gegen den Schmerz. Hilfsbedürftig wie bei unserer ersten Begegnung, drängten wir uns aneinander. Er strich mir die Tränen aus dem Gesicht, und ich umklammerte ihn, so wie er den Baumstamm umklammert hatte, als ich ihn fand.
»In deinen Armen hab ich ihn empfangen. In deinen Armen beweine ich ihn.«
»Was redest du da?«
»Unser Kind. Wir haben es verloren.«
»Unser Kind?«
»Er war dein Sohn.«
»Jasmin? Mein Sohn?« Er schnellte empor, beugte sich über mich, starrte mich so ungläubig an, als könnte nicht sein, was er vernahm. »Warum hast du mir das verschwiegen?«
»Ich habe dir von unserem Kind erzählt.«
»Wie konnte ich ahnen, dass es Jasmin ist?«
Es dauerte mehrere tiefe Atemzüge lang, bis er begriff, dass er sich nicht verhört hatte: Er schlug die Hände vor sein Gesicht und stammelte: »Warum hast du mir nicht …?«
»Ich habe dir von unserem Kind erzählt.«
»Aber nicht, dass es Jasmin ist. Jasmin. Wie kann das sein?« Seine Augen leuchteten vor Aufregung. Er wischte mir die Tränen von den Wangen und sagte: »Verzeih mir. Ich habe dir wehgetan. Ich habe dich belogen. Er lebt.«
»Du lügst, um mich zu trösten.«
»Bei meiner Ehre, er lebt.«
Tief wie die Trauer war der Freudentaumel, der mich in jener Nacht so jäh erfasste wie die Flut, aus der es kein Entkommen gibt. Wir lachten und weinten
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