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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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um sich alle anderen untertan zu machen. Das war der erste Schritt zur Abschaffung der Vernunft. Wir haben sie wieder eingesetzt, mit Hilfe einer Zweiklassengesellschaft. Die Blühenden als Verkörperung leidfreier Vitalität, und das ein Leben lang. Wir als Hüter der Vernunft müssen altern, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.«
    »Das weiß ich alles«, unterbrach ich ihn. »Wozu aber die Aufteilung in Ordensfrauen und Skarabäen?«
    Estragon erwiderte: »Wer eine friedliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden. Aus diesem Grund besteht der Orden aus Frauen. Sie geben den Blühenden, was Kinder brauchen: Mutterliebe, Erziehung, Versorgung und vieles mehr. Diese natürliche Begabung wird noch verstärkt durch den operativen Eingriff an euren Köpfen, um das abstrahierende Kausalitätsdenken in ein hoch entwickeltes intuitives Bewusstsein umzugestalten. Für euch gilt: Denken heißt mit kranken Augen sehen. Wo das Leben beginnt, hört die Wissenschaft auf. Das Unbewusste ist das wahrhaft Lebendige. In dem Augenblick, in dem sich das bewusste Denken einmischt, atmest du nicht mehr richtig. Deshalb ist für uns gehirngesteuerte Skarabäen die Meditation so wichtig. Ihr habt, was uns fehlt, und umgekehrt. Manche Dinge muss man verstehen, andere nur auf sich einwirken lassen. Eure Art, das Leben zu erfahren, deckt sich nicht mit dem Denken in unseren unbeschnittenen Skarabäenschädeln. Wir wollen verstehen, was ihr bildhaft auf euch einwirken lasst. Aber je mehr wir zu wissen glauben, desto mehr glauben wir an das Wissen.«
    Ich sagte: »Der Glaube an den kleinen Gott.«
    »Nein, nicht der Glaube, die Erkenntnis, die da heißt: Die Mikrobe ist das Maß aller Dinge.«
    »Und damit haben wir wieder eine Religion.«
    »Wie kannst du so etwas behaupten«, ereiferte sich der Alte. »Religionen haben Dogmen, Kirchen, Priester, Heilige, glauben an Himmel und Hölle und ewiges Leben. Wir glauben nicht, wir wissen, wissen, dass es ihn gibt. Er ist ein Teil von uns, und wir ein Teil von ihm.« Er sprach erregt, wie ein Glaubensfanatiker. Die faltigen Gesichtszüge erhellten sich, als sähen seine blinden Augen etwas, das ich nicht zu erkennen vermochte.
    Ich aber fand keinen Schlaf mehr. Hier wurde alles verraten, für das ich gelebt hatte. Nichts von alledem schien mehr zu gelten. Welch entsetzlicher Rückfall in die alte Barbarei!
    Die Elite des Ordens verehrte einen neuen Gott. Sie waren männlichen Geschlechts, zeugten Kinder, die wie in längst vergangenen Zeiten von Müttern ausgetragen und aus dem Leib herausgepresst wurden.
    Wie hatte ich unter dem Schuldgefühl gelitten, als Einzige ein Kind geboren zu haben. Diese Igelköpfe hatten ein Patriarchat in einem Orden von Frauen errichtet. Männliche Bienenkönige. War das nicht wider alle Vernunft? Wurden die Drohnen nicht beseitigt, wenn sie ihren Dienst an der Königin und deren weiblichem Volk erledigt hatten? Ein Bienenstock ist immer nur so stark wie seine Königin. Und auch der Orden stand und fiel mit der Magna Mater.
    Die Magna Mater! Ich musste sie warnen.
    So erhielt die Mission, mit der sie mich beauftragt hatte, am Ende doch noch einen überlebenswichtigen Sinn.

39. KAPITEL
    I ch hatte den Nachmittag am Meer verbracht, bis die ersten Sterne aufleuchteten und der Mond sein Licht auf den Wellen verteilte. Weit draußen erkannte ich Delfine, grausilbern gleitende Schatten. Ich dachte an Merimé. Wie hatte meine Welt sich seitdem verändert!
    Auf dem Heimweg stieß ich auf Estragon. Unbeweglich wie ein Baum stand er am Eingang der Schlucht, den Kopf hoch erhoben, als lauschte er auf irgendetwas.
    »Geht es dir nicht gut?«
    »Ich belausche die Fledermäuse. Faszinierende Geschöpfe. Sie sehen wie ich mit den Ohren. Wir können viel von ihnen lernen.«
    »Auch ich mag die kleinen Flugkünstler. Aber was willst du von einer Fledermaus lernen?«
    »Oh, viel. Sehr viel. Komm, ich will dir etwas zeigen.«
    Er nahm mich mit in sein Laboratorium. Dort erklärte er mir: »Für viele Lebewesen ist der Winter ein tödliches Problem. Um ihre Arten zu schützen, hat die Natur eine Fülle von Überlebensstrategien entwickelt. Die sicherste ist das Abwandern in klimatisch günstigere Gebiete. Ein großer Teil der Vögel schlägt diesen Weg ein. Eine ganz andere Taktik haben die Winterschläfer entwickelt, und zu denen gehören auch und vor allem die Fledermäuse. Sie können ihre Körpertemperatur bis nahe an den Gefrierpunkt absenken, ohne zu erfrieren, um so die

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