Magnolia Steel - Städing, S: Magnolia Steel
nicht doch noch ein paar Tage bleiben?«, fragte sie plötzlich.
Ihre Mutter seufzte. »Wir haben schon so oft darüber gesprochen, Maggie. Es geht einfach nicht. Ich muss noch heute Nacht fliegen, sonst verpasse ich unser erstes Meeting in New York!«
»Und wenn schon«, beharrte Magnolia, »du bleibst schließlich ein ganzes Jahr!«
»Mach es mir doch nicht unnötig schwer! Gambler & Partner haben mich unter 1200 Bewerbern ausgewählt. MICH, Charlotte Melbach! Es ist die Chance meines Lebens … und du hast es doch nicht schlecht bei Tante Linette, also fang nicht ständig davon an.«
»Wirst du Papa in New York treffen?«
»Sicher nicht!«, war die bestimmte Antwort. »Ich habe keine Ahnung, wo Mr Steel sich gerade herumtreibt. Der letzte Anruf kam aus irgendeinem Kaff in Florida und brach mitten im Satz ab. Ich schätze, ihm ist wieder einmal das Geld ausgegangen.«
Magnolia seufzte. »Nenn ihn doch nicht immer Mr Steel, Mama.« Ihr Vater war Amerikaner, Kunstmaler und offensichtlich nicht besonders erfolgreich. Überhaupt waren ihre Eltern wie Tag und Nacht. Sie hatten sich auf einem Woodstock Revival Festival kennen und lieben gelernt. Das Ergebnis war Magnolia. Schon kurz nach der Hochzeit merkten ihre Eltern, dass alles nur ein großer Irrtum war, und trennten sich genauso schnell, wie sie geheiratet hatten. In gegenseitigem Einvernehmen, wie man so schön sagt.
Von ihrem Vater blieben Magnolia nur die blonden Haare und der Nachname Steel. Mehr nicht. Ihm lag nichts an einer engen Beziehung. Nicht einmal zu ihren Geburtstagen schrieb er regelmäßig.
»Hast du Lust auf eine Runde: Ich sehe was, was du nicht siehst?«, rief ihre Mutter nach einer Weile von vorn.
»Mama!«, sagte Magnolia leicht genervt, »ich bin dreizehn und nicht drei.«
»Verstehe. Wie wäre es mit etwas Musik?«
»Meinetwegen.«
Kurz darauf erfüllten muntere Polkaklänge den Wagen und sie fuhren ihrem Reiseziel beschwingt entgegen.
Zwei Stunden später steuerten sie einen kleinen Rastplatz an.
»So, Pinkelpause! Wenn ich mich recht entsinne, gibt es hier sogar den Luxus eines Klohäuschens«, sagte ihre Mutter und stieg aus dem Wagen.
Magnolia schälte sich ebenfalls heraus. Während der letzten Stunde hatte sie nur auf ihren Nintendo DS gesehen und gar nicht bemerkt, wie sich die Landschaft allmählich veränderte.
Der Rastplatz lag schattig, inmitten bewaldeter Berge. Die hohen Fichten standen so nah beieinander, dass die Sonnenstrahlen nur hier und dort zwischen ihren Zweigen aufblitzten.
Magnolia legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. Die Luft war angenehm kühl und roch würzig nach dem Harz der Bäume.
Sie stutzte. In der Fichte direkt über ihr saßen zwei große Raben und starrten unverwandt auf sie herab. Der Blick aus ihren seltsamen, hellen Augen war so intensiv, dass Magnolia meinte, ihn körperlich zu spüren. Unfähig, sich zu bewegen, starrte sie zurück. Dann kam die Angst, sie kroch über den Waldboden und drang durch die Fußsohlen in ihren Körper. Magnolias Herz raste, ruckartig wandte sie sich ab und blickte zu Boden. Ihr war schwindelig.
»Riechst du die Fichten?!«, rief ihre Mutter, die gut gelaunt vom Klohäuschen zurückkam. »Wenn du still bist, kannst du sie rauschen hören.« Sie lauschte. »Hörst du?«
Magnolia nickte schwach, ihre Knie waren weich wie Butter.
»Jetzt weißt du, woher Rauschwald seinen Namen hat.«
»Sind die Raben noch da?«, flüsterte Magnolia ohne aufzusehen.
»Die was?« Frau Melbach war irritiert. Sie schätzte es überhaupt nicht, wenn Magnolia einfach das Thema wechselte.
»Die Raben«, wisperte Magnolia.
»Meine Güte, Magnolia, sprich lauter, kein Mensch kann dich verstehen. Und hör auf, ständig auf den Boden zu starren!«
»Sind da noch Raben im Baum?«, fragte Magnolia, diesmal ein wenig lauter.
»Raben?!« Die Stimme ihrer Mutter schrillte so laut, dass Magnolia ängstlich zusammenzuckte. Suchend sah Frau Melbach sich um.
»Nein, die sind weg – schade! Aber du brauchst deshalb nicht gleich den Kopf hängen lassen. In Rauschwald ist die Natur noch in Ordnung, und ich wette, du wirst bald jede Menge Raben zu Gesicht bekommen. Musst du noch mal aufs Klo?«
Magnolia schüttelte den Kopf.
»Dann steig ein! Jetzt sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Haus deiner Tante.«
Zweites Kapitel
Linette
Besorgt schaute Linette Kater in den wolkenlosen Himmel.
Schon seit dem frühen Morgen beobachtete sie, wie sich auf dem alten Friedhof
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