Magnolia Steel - Städing, S: Magnolia Steel
kein gewöhnliches Haus war. Eine Gänsehaut huschte über ihren Rücken. Verstohlen sah sie zu ihrer Mutter hin, die bisher noch kein Wort gesagt hatte.
Charlotte Melbach war wie immer überwältigt, wenn sie Tante Linette gegenüberstand, und wie immer musste sie deren Anblick erst einmal verdauen. Damit war sie jetzt fertig.
»Da sind wir also, Tante Linny«, flötete sie. »Maggie konnte esgar nicht erwarten, dich endlich kennenzulernen. Ständig hat sie gedrängt und mich mit Fragen gelöchert. Wie sieht es bei Tante Linny aus, Mama? Ist Tante Linny nett? Ich freue mich ja so darauf, ihr Gesellschaft zu leisten. Du hättest das Kind hören sollen, die ganze Zeit hat es geplappert und …«
Magnolia runzelte unwillig die Stirn. Was redete ihre Mutter denn da für einen gequirlten Mist? War sie total übergeschnappt?
»Ja, da seid ihr nun«, unterbrach Linette barsch den Redefluss ihrer Nichte.
»Nur schade, Charlotte, dass du so gar keine Zeit mitgebracht hast für deine alte Tante. Willst nur schnell dein Schäfchen abgeben und wieder verschwinden. Aber um eine Tasse Kaffee kommst du mir nicht herum, soviel Zeit muss sein.«
Frau Melbach lief puterrot an. »Wie ungerecht, Tante Linny«, presste sie mühsam beherrscht hervor. »Denn ich bin wirklich sehr in Eile. Aber natürlich werde ich mir deinen vorzüglichen Kaffee nicht entgehen lassen.«
»Dann folgt mir in die gute Stube«, grunzte Linette und ging voran.
War ihre Mutter wahnsinnig geworden? Sie konnte doch nicht ohne sie abreisen, jetzt wo sie den Schuppen und die Alte hier gesehen hatte. Wütend zog Magnolia ihre Mutter am Arm. »Mama!«, flüsterte sie mit der Diskretion eines Lautsprechers. »Mama, ich bleibe auf keinen Fall hier. Ein Blinder kann sehen, was hier los ist. Dieses Haus ist ein Hexenhaus und der Besen ist eine Hexe!«
Wütend fuhr ihre Mutter herum. »Hexen gibt es nicht! Und nun hör gefälligst auf, so laut zu zischeln, sie kann dich ja hören.«
»Das ist mir gleich.«
»Mir nicht, also komm!«
Verärgert stapfte Magnolia hinter ihrer Mutter in die Wohnstube.
Unter anderen Umständen hätte ihr der Raum sicher gefallen, jetzt rümpfte sie jedoch die Nase über die vertrockneten Kräuter, die in Büscheln von der niedrigen Decke baumelten und das grün gekachelte Ungetüm in der Ecke, das vermutlich einen Ofen darstellte. Von Tante Linette keine Spur.
»Ich sehe hier nicht einmal einen Fernseher«, zischelte sie erneut.
»Das liegt sicher daran, dass ich keinen Fernseher besitze«, antwortete Tante Linette, die in dieser Sekunde durch eine unscheinbare Seitentür hereinkam. Mit einer knappen Handbewegung deutete sie ihren Gästen an, sich zu setzen.
»Ich habe Brombeerkuchen gebacken«, verkündete sie.
Brombeerkuchen? Irgendwie hatte Magnolia erwartet, ihre Tante würde eine Terrine aus Schneckenschleim auf den Tisch bringen.
Ohne eine Antwort abzuwarten, lud Linette jedem ein riesiges Kuchenstück auf den Teller und ließ sich ächzend in den Sessel fallen. Wortlos betrachtete sie ihre Gäste.
Magnolias Mutter ging ihr Stück Kuchen an wie einen Feind, der in kürzester Zeit vernichtet werden musste. Sie war nicht gewillt, ihren Aufenthalt in diesem Haus unnötig in die Länge zu ziehen. Schließlich stürzte sie mit einem triumphierenden Blick den letzten Schluck Kaffee hinunter.
»Alle Achtung, Charlotte, das war rekordverdächtig«, sagte Linette.
Betreten stocherte Magnolia in ihrem Stück Kuchen herum.
»Versteh mich bitte nicht falsch«, hörte sie ihre Mutter mit gepresster Stimme sagen. »Ich weiß sehr zu schätzen, was du für Maggie und mich in diesem Jahr tust und ich bin dir wahnsinnig dankbar. Deine bissigen Kommentare kannst du dir allerdings sparen. Dieses Jahr wird vermutlich das wichtigste Jahr meines Lebens, und ob es dir nun passt oder nicht, ich werde jetzt gehen, um meinen Flug nach New York nicht zu verpassen.«
Sie fuhr sich nervös mit einer Hand durch die Haare. »Du weißt ja, ich habe noch einen weiten Weg vor mir.« Sie lächelte flüchtig.
Magnolia schaute von ihrem Teller auf. In diesem Moment wurde ihr klar, dass ihre Mutter Ernst machte. Sie hatte keine Skrupel, ihr einziges Kind in einem Hexenhaus zurückzulassen. Es war ihr egal, denn der Job war so viel wichtiger als die dumme kleine Magnolia. Die Spaßbremse, der Klotz am Bein, das Karrierehindernis.
Ein dicker Kloß schien ihren Hals zu verstopfen. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt noch Luft bekam. Na ja, vermutlich
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