Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Sie haben vergessen, die Zigarren einzustecken. Gassin hat mir eben erst fünfhundert aus Schmuggelbeständen seines Schiffes zukommen lassen. Sie sehen, dass ich vor Ihnen nicht Versteck spiele.«
Er erhob sich schwerfällig, indem er sich auf die Armlehnen seines Sessels aufstützte.
»Ich danke Ihnen für Ihre Hinweise«, sagte Maigret, der nach irgendeiner banalen Redewendung gesucht hatte.
Ducraus Augen lachten. Die des Kommissars ebenfalls. In beider Blick, als sie sich nun ansahen, lag eine gedämpfte Fröhlichkeit, voller unausgesprochener Dinge, vielleicht eine Herausforderung, vielleicht auch eine merkwürdige Anziehung.
»Soll ich das Mädchen rufen, damit sie Sie hinausbegleitet?«
»Danke. Ich finde den Weg allein.«
Sie schüttelten sich nicht die Hände, und auch darüber schienen sie sich insgeheim einig zu sein. Ducrau blieb neben dem offenen Fenster, sein Profil zeichnete sich als dunkle Silhouette vor dem lichtüberfluteten Hintergrund ab. Vermutlich war er müder, als er den Anschein erwecken mochte, denn sein Atem ging schnell und stoßweise.
»Viel Glück! Vielleicht kassieren Sie ja die zwanzigtausend Franc!«
Im Vorbeigehen hörte Maigret hinter der Küchentür ein Schluchzen. Er kam ins Treppenhaus, ging einige Stufen hinunter, blieb im Licht des Sonnenstrahls, der sich etwas verschoben hatte, stehen, um ein Aktenstück nachzulesen, das er in der Tasche hatte. Es war das ärztliche Gutachten, in dem es unter anderem hieß:
Ein Selbstmordversuch ist auszuschließen, denn ein Mensch kann sich unmöglich dort selbst verletzen, wo sich die Stichwunde befindet.
Im Halbdunkel der Loge rührte sich etwas. Es war die Concierge, die eben zurückgekommen war. Draußen auf der Straße war es wie ein Hitzebad, wie eine Welle aus Helligkeit und Lärm, ein Wirbel aus Staub und Bewegung; die Straßenbahn der Linie 13 hielt und fuhr gleich wieder weiter. Die Tür der Schenke rechts ging klingelnd auf, gleichzeitig rollte eine Ladung Kies in einen Trichter des Steinbrechers, und ein kleiner Schleppkahn mit dem blauen Dreieck tutete, so laut er konnte, entrüstet offenbar, dass ihm eben das Schleusentor vor der Nase geschlossen wurde.
3
Ein leuchtend blaues Schild, in dessen Mitte ein Dampfschiff, darüber ein Möwenschwarm, und darunter stand zu lesen: Au Rendez-vous des Aigles. Lotsendienst auf der Marne und der Haute-Seine.
Es war das Bistro rechts. Maigret stieß die Tür auf und setzte sich in eine Ecke, gleichzeitig wurde es rund um ihn still. Ganze fünf Männer saßen da an einem Tisch, die Beine übereinandergeschlagen, die Stühle teils nach hinten gekippt, die Mützen der Sonne wegen in die Stirn gezogen. Vier von ihnen trugen blaue Trikots mit Rollkragen, und alle hatten sie die gleiche sonnengestählte, leicht rissige Haut, während ihre Haare im Nacken und über den Schläfen ausgebleicht waren.
Einer erhob sich und kam auf Maigret zu: Das war der Wirt.
»Was möchten Sie trinken?«
Das Bistro machte einen sauberen Eindruck. Auf dem Boden lag Sägemehl, die Theke glänzte, und der bitter-süßliche Geruch verriet, dass Aperitifzeit war.
»… Tja! …«, seufzte einer der Männer laut und steckte sich seinen Zigarettenstummel wieder an.
Dieses »Tja« bezog sich offenbar auf Maigret, der ein helles Bier bestellt hatte und nun behutsam seine Pfeife stopfte. Einer aus der Tischrunde, ein kleiner, blondbärtiger Alter, der ihm direkt gegenübersaß, trank sein Glas in einem Zug aus und brummte, während er sich den Schnurrbart abwischte:
»Noch einen, Fernand.«
Er trug um den rechten Arm einen Verband, woraus Maigret schon geschlossen hatte, dass es der alte Gassin war. Die anderen fingen schon an, sich gegenseitig zuzuzwinkern, immer mit Blick auf den Kapitän, der Maigret so hemmungslos anstarrte, dass davon sein haariges Gesicht ganz runzlig wurde.
Er hatte schon getrunken, man sah es an der tapsigen Unbeholfenheit seiner Bewegungen. Er hatte in Maigret den Polizisten gewittert, und seine Kollegen amüsierten sich darüber, dass ihn das so in Wallung brachte.
»Schönes Wetter, Gassin!«
Er konnte schon kaum mehr an sich halten.
»Man könnte meinen, du wolltest dem Herrn etwas sagen. Erzähl’s ihm doch!«
Und einer der Männer gab Maigret mit einem kurzen Blick zu verstehen:
›Achten Sie nicht darauf! Sie sehen, in welchem Zustand er ist.‹
Einzig der Wirt schien etwas besorgt, seine Gäste hingegen amüsierten sich ganz ungeniert, und die Stimmung hatte
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