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Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Maigret - 18 - Maigret in Nöten

Titel: Maigret - 18 - Maigret in Nöten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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etwas herzlich Unbefangenes. Durchs Fenster sah man kaum viel mehr als die Quaibrüstung, die Maste und Steuerruder der Kähne, das Dach des Schleusenwärterhauses.
    »Wann willst du denn den Anker lichten, Gassin?«
    Und ein anderer, ganz leise:
    »Sprich doch mit ihm!«
    Es sah beinahe so aus, als würde der Alte dem Rat folgen. Er erhob sich und ging mit jener falschen Ungezwungenheit, wie Betrunkene sie an den Tag legen, auf die Theke zu.
    »Noch einen, Fernand!«
    Er starrte Maigret immer noch an, und in seinem Blick lag wohl eine gewisse Unverfrorenheit, aber – merkwürdige Verbindung – auch etwas wie dumpfe Verzweiflung.
    Der Kommissar schlug mit der Mütze auf den Tisch, um den Wirt herbeizurufen.
    »Wie viel macht das?«
    Fernand nannte eine Zahl, fügte aber dann, über den Tisch gebeugt, leiser hinzu:
    »Reizen Sie ihn nicht. Er ist seit zwei Tagen nicht mehr nüchtern gewesen.«
    Es war höchstens ein Flüstern gewesen, gleichwohl schimpfte der Alte von seinem Platz los:
    »Was sagst du da?«
    Maigret war aufgestanden. Er wollte keine Unannehmlichkeiten. Er sah so gutmütig drein, wie er nur konnte, und ging zur Tür hinaus. Als er die Straße überquert hatte, drehte er sich um und sah Gassin, der mit dem Glas in der Hand ans Fenster vorgerückt war und ihm nachblickte.
    Es war wärmer geworden, und die Luft war tiefgolden. Ein Clochard schlief längs auf den Steinen des Quais ausgestreckt, eine Zeitung über den Kopf gebreitet.
    Autos, Laster, Straßenbahnen fuhren vorbei, aber Maigret hatte nun begriffen, dass das alles hier nichts zu bedeuten hatte. Die Straße, der Durchgangsverkehr hatte gar nichts mit der Umgebung zu tun. Paris fuhr hier vorbei in Richtung Marne-Ufer, aber das war nichts als ein Gedröhn, denn was hier wirklich zählte, das war die Schleuse, das Tuten der Kähne, der Steinbrecher, das waren die Schiffe und Kähne, die beiden Schifferspelunken und vor allem das hohe Haus, in dessen einem Fenster man den roten Sessel Ducraus sehen konnte.
    Die Leute waren an der freien Luft zu Hause. Einige Männer, die an einem der Kräne arbeiteten, nahmen auf einem Sandhaufen sitzend einen Imbiss ein. Eine Schiffersfrau deckte den Tisch auf Deck ihres Kahns, während ihre Nachbarin Wäsche wusch.
    Gemächlich ging der Kommissar die Steintreppe hinab, und sogleich kam ihm der langsame, eindringliche Rhythmus hier unten bekannt vor: Es war der gleiche, wie er ihn anlässlich eines Falls in der Haute-Marne erlebt hatte – bis hin zu jenem eigentümlichen Geruch des Kanals, der vor seinem Auge Bilder sachte durchs Wasser gleitender Kähne emporsteigen ließ.
    Er näherte sich der ›Toison d’Or‹ mit ihrem mit rötlichbraunem Harz eingestrichenen Holzrumpf. Auf dem frischgewaschenen Deck trockneten nach und nach die Planken; die junge Frau war nicht mehr zu sehen.
    Maigret betrat den Steg, machte zwei Schritte, drehte sich um und sah den Alten, der an die Quaibrüstung gelehnt dastand. Dann ging er weiter und rief, als er an Bord war:
    »Ist da jemand?«
    Von einem der nächsten Kähne blickte die Frau herüber, die dort Wäsche wusch, während er auf eine mit blauen und roten Scheibchen verzierte Schwingtür zuging.
    »Hallo?«
    Man ahnte schon, dass der Raum da unten, die paar Treppenstufen hinab, sauber und gut aufgeräumt sein würde; dann kam die Ecke eines Tischs in Sicht, auf dem ein Tischtuch lag.
    Auf der untersten Stufe angelangt, erblickte Maigret direkt vor sich auf einem Strohstuhl die blonde junge Frau, die einem Baby die Brust gab.
    Das war so überraschend und zugleich so alltäglich schlicht, dass der Kommissar unbeholfen seinen Hut abnahm, die noch ganz warme Pfeife in die Tasche schob und einen Schritt rückwärts machte.
    »Ich bitte um Verzeihung …«
    Die junge Frau hatte sicher Angst. Sie sah ihn an, als wollte sie seine Absichten erraten, blieb aber doch sitzen; der kleine Kindermund umschloss immer noch ihre Brust.
    »Es war mir nicht klar, dass … Ich leite die Untersuchung und habe mir erlaubt, Sie wegen einiger Auskünfte aufzusuchen.«
    Er sah sie an, und ein vages Unbehagen ergriff ihn dabei. Eine Ahnung stieg in ihm auf, aber es gelang ihm nicht, sie deutlicher werden zu lassen.
    Es war recht geräumig hier, ein Raum ganz aus lackierter Pechkiefer. In einer Ecke stand ein mit einer Steppdecke überzogenes Bett, darüber ein Kruzifix aus Ebenholz. Gegessen wurde in der Mitte der Kajüte, und der Tisch war bereits für zwei Personen gedeckt.
    »Setzen Sie sich«,

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