Maigret - 18 - Maigret in Nöten
Schuldigen ausfindig mache?«
Über Ducraus Lippen huschte der Schatten eines Lächelns. Anstatt zu antworten, murmelte er:
»Und weiter?«
»Das ist alles. Wir haben noch Zeit.«
»Sie haben mir sonst nichts zu sagen?«
»Nein!«
Maigret stand auf und stellte sich, die Pupillen von der Sonne verengt, ans offene Fenster.
»Mathilde! Mathilde! …«, rief der andere. »Erstens, versuchen Sie doch in Zukunft sofort zu kommen, wenn ich Sie rufe. Zweitens, ziehen Sie eine saubere Schürze an. Und nun gehen Sie und holen mir eine Flasche Champagner. Eine der acht Flaschen hinten links.«
»Ich trinke keinen Champagner«, sagte Maigret, als das Dienstmädchen gegangen war.
»Von dem da werden Sie ein Glas nehmen. Ein Brut nature 1897, den mir der Besitzer der größten Weinhandlung von Reims geschickt hat.«
Nun schien er beschwichtigt. In ihm regte sich sogar ein Anflug von Gefühl, wenn auch nur sehr schwach.
»Was sehen Sie gerade?«
»Das Schiff von Gassin.«
»Ach, wissen Sie, Gassin ist ein alter Kumpel von mir, der einzige, der mich noch duzt! Wir haben unsere ersten Fahrten zusammen unternommen. Ich habe ihm eines meiner Schiffe anvertraut, das hauptsächlich Belgien anfährt.«
»Er hat eine hübsche Tochter.«
Es war nicht mehr als ein Eindruck, denn aus der Entfernung sah Maigret kaum mehr als eine Silhouette. Und doch schloss er aus ihr, dass sie eine schöne Frau war. Obwohl sie so schlicht erschien! Ein schwarzes Kleid und eine weiße Schürze, an den nackten Füßen ein Paar Holzschuhe.
Ducrau antwortete nicht, und nach einigen Augenblicken beidseitigen Schweigens ließ er sich, als sei ihm der Geduldsfaden gerissen, vernehmen:
»Nur zu! Die Dame von oben, dann das Dienstmädchen, und all die übrigen! Nur zu, ich warte …«
Die Tür zur Küche ging einen Spaltbreit auf. Madame Ducrau räusperte sich, bevor sie von der Schwelle aus vorzubringen wagte:
»Sollen wir ihn auf Eis servieren?«
Worauf er aufbrauste: »Warum den Champagner nicht gleich in Reims holen gehen?«
Sie verschwand wortlos, und die Tür blieb halb offen, während Ducrau wieder anknüpfte:
»Ich halte mir also hier im zweiten Stock, genau über diesem Zimmer, noch eine Frau namens Rose, ein ehemaliges Animiermädchen aus dem ›Maxim’s‹ …«
Er senkte die Stimme nicht, im Gegenteil. Mit Sicherheit hörte ihn auch seine Frau. Umgekehrt hörte man ja aus der Küche auch Gläserklirren. Das Mädchen kam mit einem Tablett herein, sie hatte eine saubere Schürze umgebunden.
»Wenn ich Ihnen noch mit ein paar Einzelheiten dienen kann, ich gebe ihr monatlich zweitausend Franc und was sie zum Anziehen braucht, aber sie näht ihre Kleider fast alle selber. So ist’s recht! Nun stellen Sie alles hierhin, und machen Sie, dass Sie wegkommen. Wollen Sie nicht die Flasche entkorken, Kommissar?«
Nun hatte er sich daran gewöhnt. Maigret hörte das Gerassel des Steinbrechers nicht mehr, und auch nicht den Lärm, der von der Straße heraufgetragen wurde und sich mit dem Brummen zweier großer Fliegen im Zimmer vermischte.
»Wir sprachen von vorgestern. Meine Tochter und ihr Idiot von Ehemann haben hier zu Abend gegessen, und wie immer bin ich nach dem Dessert weggegangen. Ich mag keine Kotzbrocken, und mein Schwiegersohn ist ein Kotzbrocken. Auf Ihr Wohl!«
Er schnalzte mit der Zunge und stieß einen Seufzer aus.
»Das ist alles. Es war vielleicht zehn Uhr. Ich bin den Bürgersteig entlanggegangen, hab ein Glas mit Catherine getrunken, die das Tanzlokal etwas weiter hinten führt. Dann bin ich weitergegangen bis zur Ecke der kleinen Straße dort unten, wo die Straßenlampe steht. Lieber trinke ich ein Bier mit irgendwelchen Mädchen als mit meinem Schwiegersohn.«
»Als Sie das Haus verlassen haben, ist Ihnen da nicht aufgefallen, dass Ihnen jemand gefolgt ist?«
»Mir ist überhaupt nichts aufgefallen.«
»In welche Richtung sind Sie weitergegangen?«
»Was weiß ich.«
Das war deutlich. Die Stimme war wieder aggressiv, außerdem noch heiser, weil Ducrau einen zu großen Schluck Champagner genommen hatte; er räusperte sich und spuckte auf den ausgeblichenen Teppich.
Im ärztlichen Gutachten stand, dass die Rückenverletzung nur oberflächlich sei, und dass der Reeder drei bis vier Minuten im Wasser gelegen habe, wobei er vielleicht ein- oder zweimal wieder an die Oberfläche gekommen war.
»Sie haben selbstverständlich niemand in Verdacht?«
»Ich habe alle in Verdacht!«
Er hatte eine sonderbare Physiognomie,
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