Maigret - 18 - Maigret in Nöten
nahe!«, schimpfte der Arzt und stieß Gassin so heftig zurück, dass der Betrunkene zu Boden ging, dabei die Flasche zerbrach und liegen blieb, dann ächzend und fluchend versuchte, seine über ihn gebeugte Tochter zu verscheuchen.
Ein weiteres Auto hielt auf dem Quai, und eine neue Gruppe scharte sich um den Polizeikommissar.
»Ist er vernehmungsfähig?«
»Sie können es jedenfalls versuchen.«
»Glauben Sie, dass er davonkommen wird?«
Émile Ducrau antwortete selbst mit einem Lächeln. Einem sonderbaren, unbestimmten Lächeln, das eher einer Grimasse glich, aber unzweifelhaft bezog es sich auf die eben gestellte Frage.
Der Kommissar grüßte ihn, ein wenig verwirrt, indem er seinen Hut lüftete.
»Es freut mich, dass es Ihnen bessergeht.«
Wie peinlich, von oben herab mit einem Mann zu sprechen, der so in die Luft guckte und um den sich immer noch die Helfer bemühten. \
»Sind Sie überfallen worden? War es weit von hier? Wissen Sie, wo man auf Sie eingestochen und Sie dann ins Wasser geworfen hat?«
Stoßweise kam immer noch Wasser aus dem Mund. Émile Ducrau ließ sich mit der Antwort Zeit, er versuchte nicht einmal zu sprechen. Er drehte ein wenig den Kopf, denn das weiße Mädchen war in seinem Blickfeld vorbeigegangen, und sein Blick folgte ihr bis zum Steg.
Sie ging, begleitet von einer Nachbarin, um Kaffee für ihren Vater zu bereiten, der sofort um sich schlug, als man davon sprach, ihn ins Bett zu bringen.
»Erinnern Sie sich, was vorgefallen ist?«
Und da er immer noch nicht antwortete, nahm der Kommissar den Arzt beiseite.
»Meinen Sie, er versteht mich?«
»Es sieht so aus.«
»Aber …«
Sie standen mit dem Rücken zu dem fast Ertrunkenen und waren beide höchst verdutzt, als sie plötzlich seine Stimme hörten.
»… tun mir weh …«
Alle sahen ihn an. Er schnitt ein ungeduldiges Gesicht. Das Sprechen strengte ihn an. Den einen Arm mühsam hebend, stieß er nur noch hervor:
»Will nach Hause …«
Er versuchte, mit der Hand auf das sechsstöckige Haus hinter ihm zu zeigen. Der Kommissar war verstimmt und unschlüssig.
»Entschuldigen Sie, wenn ich darauf bestehe, aber es ist meine Pflicht. Haben Sie Ihre Angreifer gesehen? Haben Sie sie erkannt? Vielleicht sind sie noch in der Nähe …«
Ihre Blicke kreuzten sich. Émile Ducrau wich nicht aus. Und doch antwortete er nicht.
»Es wird in der Sache ermittelt werden, und die Staatsanwaltschaft wird mich bestimmt fragen, ob …«
Es kam völlig unerwartet. Mit einem Mal wurde diese Masse, die so träg und breit auf dem hellen Pflaster der Entladerampe lag, höchst lebendig und wehrte sich gegen alles, was sie hörte.
»Nach Hause!«, sagte Ducrau nochmals, wütend diesmal. Und man spürte, dass er, wenn man sich weiterhin querlegte, sehr ärgerlich werden und vielleicht sogar so weit zu Kräften kommen würde, um aufzustehen und sich auf die Menge zu stürzen.
»Passen Sie auf!«, schrie ihn der Arzt an. »Ihre Verletzung kann zu bluten anfangen …«
Aber das war diesem stiernackigen Kerl egal, er hatte es satt, unter all den Gaffern auf dem Boden zu liegen.
»Dann bringt ihn eben nach Hause«, seufzte resigniert der Kommissar.
Man hatte die Tragbahre von Schleuse 1 hergebracht. Aber von dieser Transportart wollte Ducrau nichts wissen. Er schimpfte. Man musste ihn an Armen, Beinen und Schultern halten. Als man ihn wegführte, blickte er die Leute wütend an, und diese wichen zurück, denn er machte ihnen Angst.
Sie hatten die Straße überquert, als der Kommissar den Zug anhielt.
»Einen Augenblick. Ich muss erst seine Frau benachrichtigen.«
Er klingelte, während die Träger unter der grünen Gaslaterne stehen blieben, wo sich die Haltestelle der Straßenbahn- und Buslinien befand.
Derweil hatten die Matrosen, die den stockbetrunkenen, überdies von einer Scherbe der Flasche an der Hand verletzten Gassin heimführten, alle Mühe, ihn über den Steg zur ›Toison d’Or‹ zu bringen.
2
Zwei Tage später stieg Kommissar Maigret gegenüber den beiden Bistros aus der Straßenbahn der Linie 13 und blieb zunächst, umtost von den Geräuschen der Straße und von der Sonne geblendet, auf der Bordsteinkante stehen, kniff die Augen zusammen, bis ein weißer Zementtransporter vor ihm auftauchte und ihm die Sicht zum Kanal versperrte.
Er war bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft am Ort des Geschehens nicht dabei gewesen, und er kannte den Ort wie überhaupt die ganze Geschichte nur aus Berichten. Auf dem kleinen
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