Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
ließ, wußte der in diesem Augenblick Bescheid?
Vermutlich. Er war ein willenloser, unterwürfiger Mensch. Er heiratete, weil man es von ihm verlangte. Er diente als Strohmann. Kraft seiner Rolle als Gatte, die man ihn spielen ließ, teilte er mit seinem Bruder das Vermögen der Maliks.
So hatte Ernest zwei Frauen und Kinder in beiden Häusern.
Und das hatte Monita entdeckt. Das hatte sie mit Abscheu erfüllt und dazu gebracht, sich zu ertränken.
»Ich weiß nicht genau, wie sie die Wahrheit erfahren hat, aber seit gestern abend glaube ich, es zu ahnen. In der vergangenen Woche hatte ich den Notar kommen lassen, um mein Testament zu ändern.«
»Rechtsanwalt Ballu, ich weiß …«
»Mit den Maliks verstehe ich mich schon lange nicht mehr, und merkwürdigerweise ist es Charles, den ich am meisten verabscheue. Ich weiß nicht, warum … Ich fand ihn heimtückisch. Ich war nahe daran anzunehmen, daß er schlechter sei als sein Bruder.
Ich wollte sie beide enterben und mein ganzes Vermögen Monita vermachen.
Am selben Abend, das hat Aimée mir gestern während des Streits, den wir hatten, offen gestanden, ist Ernest zu Charles gegangen, um diese Frage zu diskutieren.
Dieses neue Testament, dessen Verfügungen sie nicht kannten, erschreckte sie. Sie haben lange in Charles’ Arbeitszimmer im Erdgeschoß zusammengesessen. Aimée ist hinaufgegangen, um sich schlafen zu legen. Nicht viel später kam auch Charles nach oben, den sie gefragt hat:
›Ist Monita noch nicht nach Hause gekommen?‹
›Wie kommst du darauf?‹
›Sie hat mir nicht wie sonst gute Nacht gesagt.‹
Charles ist in das Zimmer des jungen Mädchens gegangen. Dort war niemand, das Bett war unberührt. Er ist hinuntergeeilt und hat sie im Damenzimmer gefunden; leichenblaß, wie vor Kälte erstarrt, saß sie in der Dunkelheit.
›Was machst du hier?‹
Es schien, als würde sie ihn nicht hören. Sie war jedoch bereit, mit hinaufzugehen.
Ich bin inzwischen sicher, daß sie alles belauscht hat. Sie wußte nun Bescheid. Und am nächsten Morgen hat sie, bevor einer von uns aufgestanden war, das Haus verlassen, als wollte sie baden gehen, was sie oft machte. Nur hat sie diesmal nicht schwimmen wollen.«
»Sie hat jedoch Zeit gefunden, um mit ihrem Cousin zu sprechen … dem Cousin, den sie liebte und der in Wirklichkeit ihr Bruder war.«
Es wurde zaghaft an die Tür geklopft. Bernadette Amorelle öffnete sie und sah sich dem Kommissar von Melun gegenüber.
»Der Wagen steht unten«, verkündete er ein wenig verlegen, denn es war das erste Mal in seiner Berufslaufbahn, daß er eine zweiundachtzigjährige Frau festnahm.
»In fünf Minuten«, erwiderte sie, als habe sie mit ihrem Butler gesprochen. »Wir haben uns noch ein paar Worte zu sagen, mein Freund Maigret und ich.«
Als sie zum Kommissar zurückkam, machte sie eine Bemerkung, die ihre erstaunliche geistige Frische bewies:
»Warum haben Sie Ihre Pfeife nicht angesteckt? Sie wissen doch, daß Sie meinetwegen ruhig rauchen können. Ich habe Sie aufgesucht. Ich wußte nicht, was sich zusammenbraute. Ich fragte mich anfangs, ob man Monita getötet hatte, weil ich sie zu meiner Erbin gemacht hatte. Ich gestehe Ihnen, aber nur Ihnen – denn das geht die nichts an, es gibt Dinge, die sie nichts angehen –, daß ich nicht sicher war, ob sie mich vergiften wollten. Das wär’s, Kommissar. Bleibt noch der Kleine. Ich freue mich, daß Sie sich seiner angenommen haben, denn ich werde das Gefühl nicht los, daß er wie Monita geendet hätte.
Versetzen Sie sich an ihre Stelle … In ihrem Alter plötzlich zu entdecken …
Für den Jungen war es sogar schlimmer. Er hat es wissen wollen. Jungs sind kühner als Mädchen. Er wußte, daß sein Vater seine persönlichen Papiere in einem Schränkchen aufbewahrte, dessen Schlüssel er immer bei sich führte und das in seinem Zimmer stand.
Er hat es am Tag nach Monitas Tod aufgebrochen. Das hat mir Aimée erzählt. Ernest hat sie über alles auf dem laufenden gehalten, er wußte, daß er ihr vertrauen konnte, daß sie mehr als eine Sklavin war.
Malik hat gemerkt, daß man sein Schränkchen aufgebrochen hatte, und hat sofort seinen Sohn verdächtigt.«
»Welche Dokumente hat er denn wohl entdeckt?« seufzte Maigret.
»Ich habe sie heute nacht verbrannt. Ich hatte Laurence beauftragt, sie mir zu holen, aber sie wagte nicht, in das Haus zurückzukehren, in dem sich der Leichnam ihres Mannes befand.
Aimée ist hingegangen.
Es gab Briefe von ihr, auch
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