Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
Nacht das Motorgeräusch eines anderen Autos, das in entgegengesetzter Richtung davonfuhr; es war der Wagen des alten Campois, der sich in Sicherheit brachte.
8
Die Leiche im Schrank
Um etwas gegen seine schlechte Laune zu tun, ließ er das Taxi in Corbeil vor einem schwach beleuchteten Bistro anhalten und bestellte zwei Gläser Marc, eines für den Chauffeur, das andere für sich.
Der scharfe Geschmack des Schnapses schnürte ihm die Kehle zu, und er dachte daran, daß diese Ermittlung »unter dem Zeichen« des Marc stattfand. Warum? Reiner Zufall. Es war das Getränk, das er mit Abstand am wenigsten mochte. Außerdem hatte es den widerlichen Kümmel bei der alten Jeanne gegeben. Die Erinnerung an das Zusammensein mit der alkoholisierten und aufgedunsenen Alten verursachte ihm jetzt noch Übelkeit.
Dennoch war sie einmal schön gewesen. Sie hatte Malik geliebt, der sich ihrer bedient hatte, wie er sich aller bediente, die in seine Nähe kamen. Und nun war es eine eigenartige Mischung aus Liebe und Haß, aus Groll und hündischer Ergebenheit, die sie für diesen Mann empfand, der nur zu erscheinen und ihr Befehle zu erteilen brauchte.
Es gibt solche Leute auf der Welt. Und es gibt andere wie die beiden Gäste der kleinen Bar, die einzigen zu dieser späten Stunde, ein Dicker, der Metzger war, und ein Dünner, Listiger, Würdevoller, der stolz darauf war, in einem Büro, vielleicht beim Bürgermeisteramt, angestellt zu sein, diese beiden, die abends um zehn neben einem mächtigen Ofenrohr, an das sich der Metzger hin und wieder lehnte, miteinander Dame spielten.
Der Fleischermeister war selbstsicher, weil er Geld hatte und es ihm gleichgültig war, ob er die Runde verlor. Der Dünne fand, die Welt sei schlecht beschaffen, weil ein Intellektueller, der studiert hatte, ein leichteres Leben haben müßte als ein Schweinemetzger.
»Noch einen Marc … Verzeihung, zwei Marc!«
Campois rollte in Begleitung seines Enkels auf die Gare Saint-Lazare zu. Auch er mußte sich nicht ganz wohl fühlen. Sicherlich gingen ihm die harten Worte Maigrets und das übrige, die alten Erinnerungen, durch den Kopf.
Er fuhr nach Le Havre. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sich zu den norwegischen Fjorden aufgemacht, ohne Lust dazu zu haben, wie ein Gepäckstück, weil Malik … und er war bereits ein sehr alter Mann. Es war nicht leicht, so alten Leuten die Wahrheit zu sagen, wie Maigret es getan hatte.
Die Fahrt ging weiter. Der Kommissar in seiner Ecke blieb finster und zugeknöpft.
Bernadette Amorelle war eine noch ältere Frau. Und was er nicht wußte, was er nicht wissen konnte, weil er nicht der liebe Gott war: Sie hatte den alten Campois in seinem mit Koffern überladenen Auto vorbeifahren sehen.
Auch sie hatte begriffen. Vielleicht war sie scharfsinniger als Maigret? Es gibt Frauen, vor allem ältere, die wirklich mit dem Zweiten Gesicht gesegnet zu sein scheinen.
Wenn Maigret dort gewesen wäre, auf dem Bahndamm zum Beispiel, wie an den zwei vorhergehenden Abenden, hätte er ihre drei erhellten Fenster offen gesehen und in dieser etwas rötlichen Beleuchtung die alte Dame, die ihr Zimmermädchen rief.
»Er hat den alten Campois weggeschickt, Mathilde.«
Er hätte sie nicht gehört, aber er hätte die beiden Frauen beobachten können, wie sie sich lange unterhielten, die eine so scharf wie die andere, dann hätte er Mathilde verschwinden und Madame Amorelle in ihrem Zimmer auf und ab gehen sehen, und schließlich ihre Tochter Aimée, die Frau von Charles Malik, die mit schuldbewußter Miene eintrat.
Denn nun brach das Drama aus. Länger als zwanzig Jahre hatte es geschwelt. Seit einigen Tagen, seit Monita tot war, konnte es sich von einer Minute zur anderen entladen.
»Setzen Sie mich hier ab!«
Mitten auf dem Pont d’Austerlitz. Er hatte keine Lust, gleich nach Hause zu gehen. Die Seine war schwarz. Auf den schlummernden Lastkähnen brannten kleine Lampen, an den Quais streiften Schatten umher.
Maigret rauchte und marschierte langsam, die Hände in den Taschen, durch die verlassenen Straßen, in denen die Laternen gleichsam Girlanden bildeten.
An der Place de la Bastille, an der Ecke der Rue de la Roquette, erblickte man hellere, strahlende Lichter mit diesem fahlen Glanz, der den Luxus der Armenviertel ausmacht – so wie die Beleuchtung an manchen Jahrmarktbuden die Leute aus ihren finsteren und stickigen Gäßchen hervorzulocken versucht, damit sie sich an einem Spielchen um eine Tüte Zucker oder ein
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