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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Regenmantel stammte.
    Zur gleichen Zeit nahmen fünfzig andere Fälle die Inspektoren in Anspruch. Die Männer kamen und gingen, telefonierten und tippten ihre Berichte. In den Gängen warteten Leute. Man lief von der Meldestelle zur »Sitte« und von dort zum Erkennungsdienst.
    Moers meldete sich am Telefon.
    »Hören Sie, Chef. Ein winziges Detail, das wahrscheinlich nicht viel zu sagen hat, aber ich habe bis jetzt so wenig gefunden, dass ich es Ihnen auf alle Fälle mitteilen wollte. Ich habe wie üblich ein paar Haare des Toten untersucht. Die Analyse hat Lippenstiftspuren ergeben.«
    Das war fast komisch. Trotzdem lachte niemand darüber. Eine Frau hatte Maigrets Toten aufs Haar geküsst, eine Frau mit geschminkten Lippen.
    »Es ist übrigens ein billiger Lippenstift, und die Frau hat wahrscheinlich braunes Haar, denn es ist ein sehr dunkles Rot.«
    Hatte die Frau den Unbekannten am Abend vorher geküsst? War es bei ihm zu Hause gewesen, als er die Jacke gewechselt hatte?
    Wenn er sich umgezogen hatte, so bedeutete das allerdings, dass er nicht die Absicht gehabt hatte, noch einmal auszugehen. Ein Mann, der nur für eine Stunde nach Hause kommt, macht sich nicht die Mühe, die Kleider zu wechseln. Oder aber er hatte unerwartet noch einmal fortmüssen …
    Aber war es wahrscheinlich, dass er, verstört, wie er war, in seiner Panik, die ihn aufgeregt gestikulierend durch die Straßen von Paris hetzen und immer wieder die Polizei anrufen ließ, nach Einbruch der Dunkelheit noch einmal ausgegangen war?
    Eine Frau hatte ihn aufs Haar geküsst. Oder ihr Gesicht gegen seine Wange geschmiegt. Auf jeden Fall war es eine zärtliche Geste gewesen.
    Maigret stopfte sich seufzend eine neue Pfeife und sah auf die Uhr. Es war ein paar Minuten nach zwölf.
    Etwa um die gleiche Zeit war am Vortag der Mann über die Place des Vosges gegangen, wo die Brunnen rauschten.
    Der Kommissar ging durch die kleine Tür, die die Kriminalpolizei mit dem Gerichtsgebäude verband. Die Talare der Anwälte flatterten wie große schwarze Vögel durch die Flure.
    »Na, dann gehen wir mal zu dem alten Affen!«, sagte Maigret mit einem Seufzer. Er hatte Richter Coméliau nie ausstehen können.
    Er wusste genau, dass ihn dieser eiskalt empfangen und ihm einen Satz ins Gesicht schleudern würde, der in seinen Augen einen schneidenden Vorwurf darstellte:
    »Ich habe auf Sie gewartet, Herr Kommissar.«
    Er wäre sogar imstande gewesen zu sagen:
    »Beinahe hätte ich auf Sie warten müssen.«
    Maigret war das unendlich gleichgültig.
    Seit halb drei Uhr morgens lebte er nur noch für seinen Toten.

3
    »Ich freue mich, Herr Kommissar, Sie endlich telefonisch zu erreichen!«
    »Seien Sie versichert, Herr Richter, die Freude ist ganz meinerseits!«
    Madame Maigret hob unwillkürlich den Kopf. Sie fühlte sich immer unbehaglich, wenn ihr Mann in diesem sanften, zuckersüßen Ton sprach. Und wenn das im Gespräch mit ihr der Fall war, brachte sie das so aus der Fassung, dass sie zu weinen anfing.
    »Fünfmal habe ich Sie schon in Ihrem Büro angerufen.«
    »Und ich war nicht dort«, seufzte er mit gespielter Bestürzung.
    Sie bedeutete ihm, sich in Acht zu nehmen und nicht zu vergessen, dass er mit einem Richter sprach, dessen Schwager noch dazu Minister gewesen war.
    »Man hat mir eben erst gesagt, dass Sie krank seien.«
    »Nicht der Rede wert, Herr Richter. Die Leute übertreiben immer. Ein starker Schnupfen. Und so stark ist er eigentlich gar nicht.«
    Vielleicht hatte Maigrets heitere Stimmung ihren Grund darin, dass er in Pyjama und mollig warmem Morgenrock, die Füße in Pantoffeln, ganz gemütlich bei sich zu Hause im Sessel saß.
    »Mich wundert nur, dass Sie mich nicht haben wissen lassen, wer Sie vertritt.«
    »Mich wobei vertritt?«
    Richter Coméliaus Stimme war schroff, kühl, gewollt unpersönlich, während die des Kommissars immer herzlicher wurde.
    »Ich spreche von dem Fall an der Place de la Concorde. Ich nehme an, dass Sie sich noch daran erinnern.«
    »Ich denke den ganzen Tag daran. Gerade vorhin sagte ich zu meiner Frau …«
    Sie machte ihm wieder Zeichen, sogar noch heftigere als zuvor, um ihm zu verstehen zu geben, er solle sie nicht in diese Geschichte hineinziehen. Die Wohnung war klein und warm. Die dunklen Eichenmöbel im Esszimmer stammten noch aus ihren ersten Ehejahren. Durch die Tüllgardinen konnte man auf der anderen Straßenseite eine Aufschrift in großen schwarzen Lettern auf einer weißen Mauer lesen: Lhoste & Pépin

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