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Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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– Feinmechanik.
    Seit dreißig Jahren sah Maigret diese Wörter jeden Tag, morgens und abends, und darunter das große Tor zu der Werkstatt, das immer von zwei, drei Lastwagen mit der gleichen Aufschrift flankiert war, und noch immer hatte er es nicht satt.
    Im Gegenteil. Es machte ihm Spaß. Er streichelte die Wörter gewissermaßen mit seinem Blick. Und immer blickte er dann auch ein Stück höher auf die Rückfront eines weiter weg liegenden Hauses, an dessen Fenstern Wäsche zum Trocknen hing, und auf eine rote Geranie, die dort stand, sobald das Wetter mild wurde.
    Wahrscheinlich war es nicht immer dieselbe Geranie. Auf jeden Fall aber hätte er schwören mögen, dass der Blumentopf, genau wie er selbst, schon seit dreißig Jahren hier war. Und die ganze Zeit über hatte Maigret nicht ein einziges Mal gesehen, dass sich jemand aus dem Fenster gebeugt oder die Pflanze gegossen hätte. In dem Zimmer wohnte jemand, das war sicher, aber seine Zeiteinteilung schien nicht mit der des Kommissars übereinzustimmen.
    »Glauben Sie, Monsieur Maigret, dass Ihre Untergebenen in Ihrer Abwesenheit die Untersuchungen mit aller wünschenswerten Sorgfalt durchführen werden?«
    »Ich bin davon überzeugt, Monsieur Coméliau. Ich bin sogar völlig sicher. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie gut man eine solche Untersuchung leiten kann, wenn man zu Hause in einem ruhigen und mollig warmen Zimmer im Sessel sitzt, fernab von allem Getriebe, nur mit einem Telefon in Reichweite und einer Kanne Kräutertee neben sich. Ich will Ihnen ein kleines Geheimnis anvertrauen: Ich frage mich, ob ich überhaupt krank wäre, wenn es diese Untersuchung nicht gäbe! Nein, offensichtlich wäre ich das nicht, weil ich mich ja in der Nacht erkältet habe, als an der Place de la Concorde die Leiche gefunden wurde. Oder vielleicht am nächsten Morgen, als Dr. Paul und ich nach der Autopsie zusammen die Quais entlanggegangen sind. Aber das war es gar nicht, was ich Ihnen sagen wollte. Ohne die Untersuchung wäre dieser Schnupfen nur ein Schnupfen, den man behandelt, indem man ihn ignoriert, verstehen Sie?«
    Das Gesicht von Richter Coméliau, der da in seinem Amtszimmer saß, musste gelb sein, vielleicht sogar grünlich, und die arme Madame Maigret wusste nicht mehr aus noch ein. Das musste ausgerechnet ihr passieren, die so viel Respekt vor gehobenen Stellungen und Hierarchien hatte!
    »Sagen wir, dass ich hier zu Hause, wo mich meine Frau pflegt, viel mehr Ruhe habe, um über den Fall nachzudenken und die Untersuchung zu leiten. Niemand, der mich dabei stört, oder jedenfalls kaum jemand.«
    »Maigret!«, fiel ihm seine Frau ins Wort.
    »Scht!«
    Jetzt sprach der Richter.
    »Finden Sie es normal, dass der Mann nach drei Tagen noch nicht identifiziert ist? Sein Bild ist in allen Zeitungen erschienen. Nach dem, was Sie mir selber erzählt haben, hat er eine Frau …«
    »Das hat er mir in der Tat gesagt.«
    »Bitte unterbrechen Sie mich nicht. Er hat eine Frau, wahrscheinlich auch Freunde. Er hat auch Nachbarn, einen Vermieter, was weiß ich? Leute, die ihn jeweils zu bestimmten Stunden auf der Straße gesehen haben. Aber noch hat ihn keiner identifiziert oder hat Ihnen sein Verschwinden gemeldet. Allerdings ist der Boulevard Richard-Lenoir ja auch nicht einfach zu finden!«
    Armer Boulevard Richard-Lenoir! Warum zum Teufel hatte er einen so schlechten Ruf? Klar mündete er in die Bastille! Und ebenso unbestreitbar war er von kleinen, dichtbevölkerten Querstraßen durchzogen. Das ganze Viertel war voll von Werkstätten und Lagerhäusern. Aber der Boulevard war breit, und es gab sogar einen Rasenstreifen in der Mitte. Andererseits wuchs das Gras genau über der Metro, hier und dort öffneten sich Metroschächte, denen lauer Chlorgeruch entströmte, und alle zwei Minuten, bei der Durchfahrt der Züge, wurden die Häuser von einem seltsamen Beben erschüttert.
    Alles eine Frage der Gewohnheit … Freunde und Kollegen hatten in den letzten dreißig Jahren schon hundertmal eine Wohnung für ihn gefunden, in, wie sie es nannten, freundlicheren Vierteln. Er hatte sie sich angesehen und gemurmelt:
    »Schön ist sie ja schon …«
    »Und die Aussicht, Maigret!«
    »Ja …«
    »Die Räume sind groß und hell …«
    »Ja … Es ist alles, wie man sich’s nur wünschen kann … Ich würde mit Begeisterung hier wohnen … Nur …«
    Er hatte eine kleine Pause gemacht, geseufzt und den Kopf geschüttelt:
    »… ich müsste umziehen!«
    Wer den Boulevard

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