Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Maigret - 29 - Maigret und sein Toter

Titel: Maigret - 29 - Maigret und sein Toter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
Richard-Lenoir nicht mochte, war selber schuld. Das galt auch für Richter Coméliau.
    »Sagen Sie, Herr Richter, haben Sie sich schon einmal eine Trockenerbse in die Nase gesteckt?«
    »Wie bitte?«
    »Ich sagte: eine Trockenerbse. Ich erinnere mich, dass wir das als Kinder gespielt haben. Probieren Sie es. Und sehen Sie sich dann im Spiegel an. Sie werden vom Resultat überrascht sein. Ich wette, dass Sie mit einer Erbse im Nasenloch niemand von den Leuten, die Sie Tag für Tag sehen, wiedererkennen wird. Nichts verändert ein Gesicht mehr. Und gerade die, die uns am besten kennen, sind von der kleinsten Veränderung am meisten verwirrt.
    Allerdings ist das Gesicht des Ermordeten viel schlimmer entstellt, als das durch eine Erbse in der Nase möglich wäre.
    Und noch etwas. Die Menschen können sich nur schwer vorstellen, dass ihr Nachbar, ihr Bürokollege, der Kellner, der sie jeden Mittag bedient, plötzlich ein anderer werden könnte als der, der er ist – dass er sich zum Beispiel in einen Mörder oder einen Ermordeten verwandeln könnte. Man liest in den Zeitungen, dass ein Verbrechen verübt worden ist, und hat das Gefühl, das geschähe in einer anderen Welt, auf einem anderen Stern. Nicht in der eigenen Straße. Nicht im eigenen Haus.«
    »Sie finden es also normal, dass ihn noch niemand wiedererkannt hat?«
    »Es überrascht mich nicht besonders. Ich erinnere mich an den Fall einer Ertrunkenen, bei der es sechs Monate gedauert hat. Das war noch zur Zeit des alten Leichenschauhauses, als es noch keine Kühlanlage gab und die Leichen nur von einem dünnen Wasserstrahl aus einem Wasserhahn gekühlt wurden.«
    Madame Maigret seufzte. Sie gab es auf, ihn zum Schweigen bringen zu wollen.
    »Kurz und gut, Sie sind zufrieden. Ein Mann ist ermordet worden, und drei Tage später haben wir nicht nur keine Spur des Mörders, sondern wissen auch nichts über das Opfer.«
    »Ich weiß eine Menge kleiner Einzelheiten, Herr Richter.«
    »Wahrscheinlich sind sie so klein, dass es nicht lohnt, sie mir mitzuteilen, obwohl ich mit der Untersuchung betraut bin.«
    »Zum Beispiel das: Der Mann war eitel. Er hatte vielleicht keinen Geschmack, aber er war eitel. Seine Socken und die Krawatte verraten es. Aber zu einer grauen Hose und einem Gabardinemantel trug er schwarze Schuhe aus feinem, weichem Ziegenleder.«
    »Hochinteressant, allerdings!«
    »Hochinteressant, ja. Vor allem weil er auch ein weißes Hemd trug. Hätten Sie nicht gedacht, dass ein Mann, der lila Socken und geblümte Krawatten liebt, ein farbiges oder zumindest ein gestreiftes oder kleingemustertes Hemd vorziehen würde? Gehen Sie mal in eines der Lokale, in die er uns gerufen hat und wo er sich wohl zu fühlen schien. Sie werden dort wenig weiße Hemden zu sehen bekommen.«
    »Und was schließen Sie daraus?«
    »Einen Augenblick bitte. In mindestens zwei Bistros – Torrence ist noch einmal hingegangen – hat er einen Suze-Citron bestellt, wie aus Gewohnheit.«
    »Wir kennen also seinen Geschmack in Bezug auf Aperitifs.«
    »Haben Sie schon einmal Suze getrunken, Herr Richter? Das ist ein bitteres Getränk, das nur wenig Alkohol enthält. Es gehört nicht zu den Aperitifs, die überall getrunken werden, und ich habe feststellen können, dass die, die es gewohnheitsmäßig trinken, fast immer Leute sind, die nicht ins Bistro gehen, um sich von einem Aperitif aufheitern zu lassen, sondern die aus beruflichen Gründen hingehen, Handelsreisende zum Beispiel, die sich viele Runden spendieren lassen müssen.«
    »Schließen Sie daraus, dass der Tote Handelsreisender war?«
    »Nein.«
    »Sondern?«
    »Augenblick. Fünf oder sechs Personen haben ihn gesehen. Wir haben Zeugenaussagen von ihnen. Aber niemand kann ihn genau beschreiben. Die meisten bezeichnen ihn als einen kleinen, aufgeregten Mann … Da fällt mir ein, Moers hat heute Morgen etwas Interessantes entdeckt. Er ist ein gewissenhafter junger Mann, der nie mit seiner Arbeit zufrieden ist und selbst auf eine Sache zurückkommt, ohne dass man ihn dazu auffordert. Nun, Moers hat entdeckt, dass der Tote einen Entengang gehabt hat.«
    »Was?«
    »Einen Entengang! Das heißt, er hat die Fußspitzen nach außen gesetzt.«
    Er machte seiner Frau ein Zeichen, sie solle ihm seine Pfeife stopfen, und überwachte die Prozedur aus den Augenwinkeln, wobei er ihr durch Gesten bedeutete, den Tabak nicht zu fest zusammenzudrücken.
    »Ich war bei den Beschreibungen stehengeblieben, die wir von ihm haben. Sie sind zwar

Weitere Kostenlose Bücher