Maigret - 43 - Hier irrt Maigret
schließlich.
»Was meinen Sie damit?«
»Nichts. Ich dachte nur an die Wohnungsmiete.«
»Ich verstehe. Also nicht einer von den Musikern, die ihrer kleinen Freundin eine solche Wohnung bieten können?«
»Nein.«
»Es scheint Sie nicht zu überraschen, Madame Cornet, daß Ihre Mieterin ermordet wurde.«
»Ich habe es zwar nicht erwartet, aber es überrascht mich auch nicht.«
»Und warum nicht?«
»Aus keinem besonderen Grund. Mir scheint nur, daß Frauen wie sie mehr in Gefahr sind als andere. Jedenfalls hat man diesen Eindruck, wenn man die Zeitungen liest.«
»Ich möchte Sie bitten, mir eine Liste aller Mieter aufzustellen, die gestern abend nach neun Uhr das Haus betreten oder verlassen haben. Ich hole sie mir dann beim Weggehen.«
»Das wird nicht schwer sein.«
Als er die Loge verließ, stieß er auf den Staatsanwalt und dessen Amtsgehilfen, die gerade in Begleitung des Gerichtsschreibers aus ihrem Wagen stiegen. Alle drei schienen zu frieren. Der immer noch dichte Nebel vermischte sich mit ihrem Atem.
Allgemeines Händeschütteln. Dann der Fahrstuhl. Im ganzen Haus, das dritte Stockwerk ausgenommen, war es noch genauso ruhig wie bei Maigrets Ankunft. Es war nicht die Art der Leute hier, durch den Türspalt das Kommen und Gehen der anderen zu beobachten oder auf dem Flur herumzustehen, weil eine Frau ermordet worden war.
Moers und seine Leute hatten ihre Apparate so ziemlich überall in der Wohnung aufgestellt, und der Arzt war soeben mit der Untersuchung der Leiche fertig geworden. Er drückte Maigret die Hand.
»Um welche Zeit?« fragte der Kommissar.
»Schätzungsweise zwischen neun Uhr und Mitternacht. Ich würde aber als äußerste Grenze eher elf Uhr als Mitternacht annehmen.«
»Der Tod ist vermutlich sofort eingetreten?«
»Sie haben sie ja gesehen. Der Schuß wurde aus nächster Nähe abgefeuert.«
»Von hinten?«
»Von hinten, ja, ein wenig von der Seite.«
Moers schaltete sich ein.
»Sie muß gerade eine Zigarette geraucht haben, die dann auf den Teppich fiel und dort ausbrannte. Ein Glück, daß der Teppich nicht Feuer gefangen hat!«
»Worum handelt es sich eigentlich?« fragte der Amtsgehilfe, der noch nicht im Bilde war.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht um ein ganz banales Verbrechen. Sollte mich aber wundern.«
»Denken Sie an etwas Bestimmtes?«
»Nein. Ich werde mich noch einmal mit der Putzfrau unterhalten.«
Bevor er in die Küche hinüberging, telefonierte er noch mit dem Quai des Orfèvres und bat Lucas, der gerade Dienst hatte, sofort herüberzukommen. Um die Herren vom Gericht und um die Sachverständigen, die ihrer Routinearbeit nachgingen, kümmerte er sich nicht weiter.
Madame Brault saß noch immer am gleichen Platz. Sie trank jetzt keinen Kaffee mehr, sondern rauchte eine Zigarette, was angesichts ihrer Konstitution seltsam wirkte.
»Ich darf doch wohl, oder?« sagte sie zu Maigret, dessen Blick ihr nicht entgangen war.
Maigret setzte sich ihr gegenüber.
»Erzählen Sie.«
»Was soll ich erzählen?«
»Alles, was Sie wissen.«
»Ich habe Ihnen schon alles gesagt.«
»Womit verbrachte Louise Filon eigentlich ihre Zeit?«
»Ich kann Ihnen nur sagen, was sie am Morgen tat. Gegen zehn stand sie auf. Oder vielmehr, sie erwachte, stand aber nicht gleich auf. Ich brachte ihr dann Kaffee, sie trank ihn, rauchte und las dabei.«
»Was las sie denn?«
»Zeitschriften und Romane. Oft hörte sie auch Radio. Sie haben ja den Apparat auf dem Nachttisch gesehen.«
»Telefonierte sie?«
»Gegen elf.«
»Jeden Tag?«
»Fast jeden Tag.«
»Mit Pierrot?«
»Ja. Manchmal zog sie sich gegen Mittag an, um auswärts essen zu gehen, aber das kam eigentlich selten vor. Meistens mußte ich ihr aus dem Delikatessengeschäft kalten Aufschnitt oder ein Fertiggericht holen.«
»Haben sie eine Ahnung, was sie nachmittags tat?«
»Ich nehme an, sie ging aus. Nach den schmutzigen Schuhen zu schließen, die ich morgens immer vorfand, muß sie wohl ausgegangen sein. Höchstwahrscheinlich trieb sie sich in den Läden herum, wie alle Frauen.«
»Aß sie abends nicht zu Hause?«
»Es war nur selten schmutziges Geschirr da.«
»Glauben Sie, daß sie sich mit Pierrot traf?«
»Mit ihm oder mit einem andern.«
»Sind Sie sicher, daß Sie ihn nie gesehen haben?«
»Ganz sicher.«
»Und einen anderen Mann haben Sie auch nie gesehen?«
»Nein. Höchstens den Gasmann oder einen Botenjungen.«
»Wie lange ist es her, daß Sie zum letzten Mal im Gefängnis
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