Maigret - 43 - Hier irrt Maigret
es?«
»Nicht ganz.«
»Sie sind sich doch darüber im klaren, daß Ihre Antwort von größter Wichtigkeit ist?«
»Ich merke es an der Art, wie Sie die Frage stellen, aber ich verstehe es nicht. Ich fühlte mich in der betreffenden Nacht nicht wohl und bat Lulu, hinaufzugehen und ein Glasröhrchen mit einem Medikament zu holen, das ich in meinem Badezimmer aufbewahrte. Das hat sie getan. Meine Frau hat ihr die Tür geöffnet, denn die Dienstboten waren schon zu Bett gegangen, in ihr Zimmer im sechsten Stock. Meine Frau, die auch schon im Bett gelegen hatte, hat dann das Medikament geholt.«
»Sind sie zusammen hinuntergegangen?«
»Ja. Allerdings war der Anfall inzwischen schon vorüber und ich hatte die Wohnung bereits verlassen. Ich trat gerade aus der Tür, als die beiden Frauen in ihren Nachtgewändern erschienen.«
»Sie gestatten doch einen Augenblick?«
Maigret sagte leise ein paar Worte zu Lucas, worauf dieser den Raum verließ. Gouin stellte keine Fragen und schien auch nicht überrascht.
»Stand die Tür hinter Ihnen weit offen?«
»Sie war angelehnt.«
Maigret wäre es lieber gewesen, wenn Gouin jetzt gelogen hätte. Seit einer Stunde schon hätte er es gern gesehen, wenn er zu lügen versucht hätte. Aber Gouin war von einer unerschütterlichen Aufrichtigkeit.
»Sind Sie sicher?«
Er gab ihm eine letzte Chance.
»Absolut sicher.«
»Wissen Sie, ob Ihre Frau Lulu jemals in ihrer Wohnung im dritten Stock besucht hat?«
»Sie kennen sie schlecht.«
Hatte Germaine Gouin nicht behauptet, dies sei die einzige Gelegenheit gewesen, bei der sie die Wohnung betreten hatte? In jener Nacht hatte sie sie jedoch nicht betreten. Und als sie hinuntergegangen war, um den Kommissar zu treffen, hatte sie sich auch nicht ein einziges Mal neugierig umgesehen und sich benommen, als sei ihr die Wohnung wohlbekannt.
Das war ihre zweite Lüge. Hinzu kam, daß sie Lulus Schwangerschaft mit keinem Wort erwähnt hatte.
»Glauben Sie, daß sie immer noch an der Tür horcht?«
Es war eine unnötige Vorsichtsmaßnahme gewesen, Lucas hinauszuschicken, um die Wohnungstür zu überwachen.
»Ich bin überzeugt …«, begann der Professor.
Tatsächlich öffnete sich jetzt die Verbindungstür.
Madame Gouin kam zwei Schritte näher, nur so weit, daß sie ihrem Mann in die Augen sehen konnte. Noch nie hatte Maigret in den Augen eines Menschen so viel Haß und Verachtung gesehen. Der Professor wandte den Blick nicht ab und hielt den Schock aus, ohne mit der Wimper zu zucken.
Der Kommissar stand auf.
»Ich bin gezwungen, Sie zu verhaften, Madame Gouin.«
Sie sah immer noch ihren Mann an und sagte beinahe zerstreut: »Ich weiß.«
»Ich nehme an, Sie haben alles mitangehört?«
»Ja.«
»Gestehen Sie, daß Sie Louise Filon ermordet haben?«
Sie bejahte mit einem Nicken. Man hätte annehmen können, daß sie sich wie eine Furie auf den Mann stürzen würde, der nach wie vor ihrem Blick standhielt.
»Er wußte, daß es so kommen würde«, stieß sie endlich hervor, während sich ihre Brust immer schneller hob und senkte.
»Ich frage mich jetzt, ob er nicht gerade das gewollt hat, ob er mir nicht absichtlich gewisse Dinge anvertraut hat, um mich so weit zu bringen.«
»Haben Sie Ihre Schwester kommen lassen, um ein Alibi zu haben?«
Wieder nickte sie. Maigret fuhr fort:
»Ich nehme an, Sie sind hinuntergegangen, als Sie unter dem Vorwand, einen Grog zu machen, das Boudoir verließen?«
Er sah, wie sie die Brauen runzelte; dann wandte sie den Blick von Gouin ab und ihm zu. Man merkte, daß sie mit sich kämpfte.
»Das ist nicht wahr«, sagte sie endlich trocken, »daß meine Schwester allein geblieben ist.«
In Gouins Augen zuckte ein Schimmer von Ironie auf, und Maigret wurde rot, denn dieser Blick hieß ganz eindeutig:
»Was habe ich Ihnen gesagt?«
Es stimmte, daß Germaine die Last des Verbrechens nicht allein tragen wollte. Sie hätte nur zu schweigen brauchen. Aber sie sprach.
»Antoinette wußte, was ich vorhatte. Aber im letzten Augenblick verließ mich der Mut, und sie ging mit mir hinunter.«
»Ging sie mit Ihnen hinein?«
»Sie blieb auf der Treppe.«
Und nach einem kurzen Schweigen fügte sie mit herausfordernder Miene hinzu:
»Und wenn schon! Es ist die Wahrheit.« Ihre Lippen bebten vor verhaltener Wut. »Jetzt kann er sich einen neuen Harem zulegen!«
Madame Gouin hatte sich getäuscht. Im Leben des Professors änderte sich nicht viel. Nur daß ein paar Monate später Lucile Decaux zu
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