Maigret und das Verbrechen in Holland
einem kleinen Garten davor und einem Gemüsegarten dahinter, einer Allee zur Rechten und einem freien Gelände zur Linken.
Er wollte lieber in die Stadt, die nur fünfhundert M e ter entfernt war. Er kam an die Schleuse, die den Kanal vom Hafen trennte. Im Hafenbecken wimmelte es von Schiffen von hundert bis dreihundert Tonnen, die mit aufgerichteten Masten nebeneinander lagen und eine kleine schwimmende Welt bildeten.
Linker Hand lag das Hotel Van Hasselt, in das er h i neinging.
Ein dunkler Saal mit glänzender Holztäfelung, in dem es nach Bier, Genever und Bohnerwachs roch. Ein großer Billardtisch. Ein Tisch, auf dem Zeitungen in Kupferhalterungen lagen.
In einer Ecke stand ein Mann auf, als Maigret herei n kam, und ging auf ihn zu.
»Sind Sie es, der mir von der französischen Polizei g e schickt wurde?«
Er war groß, hager, knochig, mit einem langen ma r kanten Gesicht, einer Hornbrille und dichten Haaren im Bürstenschnitt.
»Sie sind sicher Professor Duclos?« entgegnete Ma i gret.
Er hatte ihn sich nicht so jung vorgestellt. Duclos mußte zwischen fünfunddreißig und achtunddreißig Jahre alt sein. Aber er hatte ein gewisses Etwas an sich, das Maigret auffiel.
»Stammen Sie aus Nancy?«
»Ich habe dort einen Lehrstuhl für Soziologie an der Universität …«
»Aber Sie sind nicht in Frankreich geboren!«
Das ließ sich wie ein Kleinkrieg an.
»In der französischen Schweiz. Ich bin naturalisierter Franzose. Ich habe mein Studium in Paris und Montpe l lier absolviert.«
»Und Sie sind protestantisch?«
»Woran sehen Sie das?«
An nichts! An allem! Duclos gehörte zu einer Kateg o rie von Menschen, die der Kommissar gut kannte. Männer der Wissenschaft. Das Studium um des Stud i ums willen! Der Gedanke um des Gedankens willen! E i ne gewisse Strenge im Benehmen und in der Lebensfü h rung, zugleich eine Neigung zu internationalen Konta k ten. Begeisterung für Vorträge, für Kongresse, für Korr e spondenz mit ausländischen Partnern.
Er war ziemlich nervös, wenn man dies von einem Mann sagen kann, dessen Züge nie eine Reaktion ze i gen. Auf seinem Tisch stand eine Flasche Mineralwasser, daneben lagen zwei dicke Bücher und ausgebreitete Blä t ter.
»Ich sehe den Polizisten nicht, der Sie überwachen soll …«
»Ich habe mein Ehrenwort gegeben, daß ich nicht a b reise. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ich von den literarischen und wissenschaftlichen Gesel l schaften in Emden, Hamburg und Bremen erwartet werde. Ich sollte in diesen drei Städten Vorträge halten, als …«
Eine dicke blonde Frau, die Wirtin des Hotels, e r schien, und Jean Duclos erklärte ihr auf holländisch, wer der Besucher war.
»Ich habe auf gut Glück angefragt, ob mir ein Polize i beamter geschickt wird. Ich hoffe nämlich, das Rätsel lösen zu können.«
»Würden Sie mir erzählen, was Sie wissen!«
Und Maigret ließ sich in einen Sessel fallen und b e stellte:
»Einen Bols! … In einem großen Glas.«
»Hier sind zuerst einmal die Pläne, maßstabsgetreu gezeichnet. Ich kann Ihnen ein Duplikat davon geben. Auf dem ersten ist das Erdgeschoß des Hauses der P o pingas zu sehen: links der Flur, rechts das Wohnzimmer, dann das Eßzimmer; hinten die Küche, dahinter der Schuppen, in dem Popinga immer sein Boot und seine Fahrräder unterstellte.«
»Sie haben sich alle im Wohnzimmer aufgehalten?«
»Ja. Zweimal sind Madame Popinga, dann Any in die Küche gegangen, um Tee zu kochen, denn das Diens t mädchen schlief schon. Hier ist der Plan vom ersten Stock: hinten, genau über der Küche das Bad; vorn hinaus zwei Zimmer, links das Schlafzimmer der Popingas, rechts ein Arbeitszimmer, wo Any auf dem Sofa schlief; dahinter schließlich das Zimmer, das mir zugeteilt wo r den war.«
»Von welchen Zimmern aus konnte überhaupt g e schossen werden?«
»Aus meinem Zimmer, dem Bad und dem Eßzimmer im Erdgeschoß.«
»Erzählen Sie mir, wie der Abend verlief.«
»Mein Vortrag war ein voller Erfolg. Ich habe ihn in dem Saal gehalten, den Sie dort sehen.«
Ein langer, mit Papiergirlanden dekorierter Saal, der für die Gesellschaftsabende, die Bankette und die The a teraufführungen diente. Ein Podium mit den Kulissen eines Schloßparks.
»Danach sind wir in Richtung des Amsteldieps g e gangen.«
»Am Kai entlang? Können Sie mir sagen, in welcher Reihenfolge Sie gegangen sind?«
»Ich ging vorn mit Madame Popinga, die eine sehr gebildete Frau ist. Conrad Popinga flirtete mit diesem kleinen,
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