Maigret und das Verbrechen in Holland
dem Abendessen gefegt worden …«
»Was schließen Sie daraus?«
»Nichts!« ließ Jean Duclos fallen. »Ich werde meine Schlüsse erst ziehen, wenn ich soweit bin. Entschuldigen Sie, daß ich Sie von so weit her kommen ließ. Auße r dem hätte man einen Polizeibeamten nehmen können, der die Landessprache versteht! Ich werde Sie nur dann brauchen können, wenn Maßnahmen gegen mich e r griffen werden, gegen die Sie offiziell Protest einlegen müssen!«
Maigret fuhr sich über die Nase und lächelte dabei genießerisch.
»Sind Sie verheiratet, Monsieur Duclos?«
»Nein!«
»Und Sie kannten weder die Popingas noch die kleine Any, noch die anderen anwesenden Personen vorher?«
»Niemanden! Sie kannten meinen Namen.«
»Natürlich! Natürlich!«
Und er nahm die beiden mit dem Lineal gezeichneten Pläne vom Tisch, stopfte sie in seine Tasche, tippte an seinen Hut und ging.
Das Polizeibüro war modern, gemütlich und hell. Ma i gret wurde schon erwartet. Der Bahnhofsvorsteher hatte seine Ankunft gemeldet und man wunderte sich, daß er bis jetzt noch nicht erschienen war.
Er kam herein, als ob er hier zu Hause sei, zog seinen Übergangsmantel aus und legte seinen Hut auf ein M ö belstück.
Der Inspektor, der von Groningen geschickt worden war, sprach langsam und etwas affektiert Französisch. Er war ein großer blonder und hagerer Mann von beme r kenswerter Liebenswürdigkeit, der bei jedem seiner Sä t ze kurz nickte, als ob er sagen wollte:
»Sie verstehen? Wir sind uns doch einig?«
Doch Maigret ließ ihn kaum zu Wort kommen.
»Wenn Sie sich schon eine Woche lang mit diesem Fall beschäftigen«, sagte er, »müssen Sie die Zeiten nachgeprüft haben.«
»Welche Zeiten?«
»Es wäre zum Beispiel interessant zu wissen, wieviel Minuten das Opfer genau gebraucht hat, um Mademo i selle Beetje nach Hause zu bringen und dann wieder z u rückzufahren … Warten Sie! Ich möchte auch gern wi s sen, wann Mademoiselle Beetje auf dem Hof angeko m men ist; das kann Ihnen sicher ihr Vater, der auf sie gewartet hat, beantworten. Schließlich, wann der junge Cor auf das Schulschiff, auf dem es sicher einen Wac h posten gibt, zurückgekehrt ist.«
Der Polizeibeamte machte ein verärgertes Gesicht, stand plötzlich auf, als fiele ihm etwas ein, ging in ein Zimmer nach hinten und kam mit einer völlig verbeu l ten Seemannsmütze zurück. Dann sagte er betont lan g sam:
»Wir haben den Besitzer dieses Gegenstandes gefu n den, der in der Badewanne entdeckt wurde. Es ist … es ist ein Mann, der bei uns Baes genannt wird. Im Franz ö sischen würden Sie Chef sagen.«
Hörte Maigret überhaupt zu?
»Wir haben ihn nicht festgenommen, weil wir ihn überwachen wollen und er hier in der Gegend sehr b e kannt ist … Kennen Sie die Emsmündung? … Wenn man an die Nordsee kommt, liegen etwa zehn Meilen von hier Sandinseln, die bei starker Flut beinahe völlig unter Wasser sind. Eine dieser Inseln heißt Workum. Dort hat sich ein Mann mit seiner Familie und Knec h ten häuslich eingerichtet und sich in den Kopf gesetzt, Viehzucht zu betreiben. Das ist der Baes. Er hat einen Staatszuschuß erhalten, denn er muß den Leuchtturm bedienen. Man hat ihn sogar zum Bürgermeister von Workum ernannt, dessen einziger Bewohner er ist. Er hat ein Motorboot, mit dem er zwischen Delfzijl und seiner Insel hin- und herfährt.«
Maigret rührte sich immer noch nicht. Der Polizeib e amte zwinkerte.
»Ein komischer Mensch! Der Alte ist sechzig Jahre und hart wie Granit. Er hat drei Söhne, die genau solche Seeräuber sind wie er. Denn … hören Sie … Das darf man zwar gar nicht erzählen … Sie wissen, daß Delfzijl vor allem aus Finnland und Riga Holz bekommt. Die Dampfer, die sie bringen, haben einen Teil der Ladung auf Deck. Diese Ladung ist mit Ketten befestigt. Bei G e fahr haben die Kapitäne Order, die Ketten zu lösen und die Ladung dem Meer zu überlassen, um den Untergang des ganzen Schiffes zu vermeiden … Verstehen Sie i m mer noch nicht?«
Maigret schien sich für diese Geschichte nicht im g e ringsten zu interessieren.
»Der Baes ist ein schlauer Fuchs … Er kennt alle K a pitäne, die hierherkommen. Er wird mit ihnen handel s einig. Wenn also die Inseln in Sicht kommen, findet sich immer irgendein Grund, um wenigstens eine Kette zu lösen. Das sind dann ein paar Tonnen Holz, die die Flut bei Workum an den Strand spült … Strandrecht! Ve r stehen Sie nun? Der Baes macht mit den Kapitänen ha l be halbe. Und es ist
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