Maigret und das Verbrechen in Holland
einen Augenblick auf dem Kommissar, dann klopfte der Mann seine Pfeife an seinem Holzschuh aus, spuckte, suchte in seiner Tasche nach der Schweinsblase mit dem Tabak und lehnte sich bequemer an die Mauer.
Von da an spürte Maigret diesen Blick auf sich, der ihn nicht mehr losließ und in dem weder Prahlerei noch Trotz lag; der Blick war ruhig und doch beunruhigt, es war ein Blick, der abmaß, abschätzte, prüfte.
Der Kommissar war als erster vom Polizeibüro wegg e gangen, nachdem er sich mit dem holländischen Inspe k tor Pijpekamp verabredet hatte.
Any war dort geblieben, und es dauerte nicht lange, da ging sie eilig mit ihrer Aktenmappe unter dem Arm und mit leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper vorbei – eine Frau, die sich für das, was auf der Straße g e schieht, nicht interessiert.
Maigret schaute nicht sie an, sondern den Baes, der ihr lange nachsah und sich dann mit gerunzelter Stirn Maigret zuwandte.
Da ging Maigret, ohne eigentlich recht zu wissen warum, auf die Gruppe zu, die plötzlich verstummte. Zehn Gesichter drehten sich mit einem gewissen E r staunen zu ihm.
Er wandte sich an Oosting.
»Verzeihung! Verstehen Sie Französisch?«
Der Baes rührte sich nicht, schien zu überlegen. Ein schlanker Matrose neben ihm erklärte:
»Frenchman! … French-politie!«
Vielleicht waren dies die seltsamsten Minuten in Maigrets Laufbahn. Sein Gesprächspartner drehte sich nach seinem Boot um und schien zu zögern.
Es war offensichtlich, daß er dem Kommissar vo r schlagen wollte, er sollte mit ihm an Bord kommen. Man sah eine kleine Kajüte mit Eichenwänden, eine Karbidlampe und einen Kompaß.
Die anderen warteten. Er öffnete den Mund.
Dann zuckte er plötzlich die Achseln, als ob er sagen wollte: »Es ist zu dumm! …«
Das sagte er nicht. Er sagte mit heiserer, kehliger Stimme:
»Nicht verstehen … Hollandsch … English … «
Anys schwarze Gestalt mit ihrem Trauerflor ging über die Brücke und schlug dann den Weg entlang dem A m steldiep ein.
Der Baes fing den Blick auf, den Maigret auf seine neue Mütze warf, aber er zuckte nicht zusammen. Eher huschte der Anflug eines Lächelns über seine Lippen.
In diesem Augenblick hätte der Kommissar viel darum gegeben, sich in seiner Sprache mit diesem Mann unterhalten zu können, und wären es auch nur fünf M i nuten gewesen. Seine Bereitschaft war so groß, daß er ein paar Silben auf englisch stammelte, aber mit einem solchen Akzent, daß ihn niemand verstand.
»Nicht verstehen! Niemand verstehen!« sagte wieder der, der sich vorher schon eingemischt hatte.
Die Männer setzten also ihr Gespräch fort, und Ma i gret ging weiter mit dem unbestimmten Gefühl, daß er der Lösung des Rätsels eben ganz nah gewesen war, sie ihm aber wieder entglitten war, weil er sich nicht ve r ständigen konnte.
Ein paar Minuten später drehte er sich um. Die Gru p pe der Kairatten stand in der untergehenden Sonne und redete noch immer, und die letzten Sonnenstrahlen ließen das dicke Gesicht des Baes, der immer noch dem Polizeibeamten nachschaute, noch dunkelroter ersche i nen.
Bis dahin hatte Maigret sich irgendwie um das Drama herum bewegt und den immer peinlichen Besuch im Trauerhaus bis zuletzt hinausgeschoben.
Dort klingelte er nun. Es war kurz nach sechs Uhr. Er hatte nicht daran gedacht, daß die Holländer um diese Zeit zu Abend essen, und als ein kleines Dienstmädchen ihm öffnete, sah er im Eßzimmer zwei Frauen am Tisch sitzen.
Beide erhoben sich gleichzeitig, mit der etwas steifen Eilfertigkeit gut erzogener Internatsschülerinnen.
Sie waren ganz in Schwarz. Auf dem Tisch stand Tee, dünn geschnittenes Brot und Aufschnitt. Trotz der Abenddämmerung brannte kein Licht, nur die Flamme eines Gasofens, die durch die feuerfeste Scheibe zu sehen war, kämpfte gegen das Halbdunkel.
Any war es, die gleich daran dachte, das Licht anzukni p sen, während das Dienstmädchen die Vorhänge z u zog.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Maigret. »Es ist mir unangenehm, Sie ausgerechnet beim Essen zu stören.«
Madame Popinga deutete verlegen auf einen Sessel und schaute verwirrt um sich, als sich ihre Schwester ganz nach hinten ins Zimmer zurückzog.
Es war ungefähr so eingerichtet wie im Bauernhof. Moderne, aber unauffällige Möbel. Gedämpfte Farben, in einer vornehmen und düsteren Harmonie.
»Sie kommen wegen …«
Madame Popingas Unterlippe schob sich nach vorn, und sie mußte das Taschentuch vor den Mund halten, um ein plötzliches
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