Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
Mann und dem Norweger.
Aber niemand antwortete. Niemand wagte den bohrenden Blick Maigrets zu erwidern.
Zwei Minuten … drei Minuten … Nebenan die Alte, die frische Holzscheite auf das Feuer legte …
Und wieder Maigrets Stimme, absichtlich kühl und bar jeden Gefühls:
»Im Namen des Gesetzes, Jean Martineau, Sie sind verhaftet!«
Der Aufschrei einer Frau. Madame Grandmaison machte eine Bewegung, als wollte sie sich schützend vor Martineau stellen, aber noch bevor sie ihn erreichte, brach sie ohnmächtig zusammen.
Der Bürgermeister drehte sich wutschnaubend zur Wand.
Und Martineau stieß einen Seufzer der Erschöpfung, der Resignation aus. Er wagte es nicht, der ohnmächtigen Frau Hilfe zu leisten.
Maigret war es, der sich schließlich über sie beugte, sich nach dem Wasserkrug umsah. Er fragte die Alte im Nebenraum:
»Haben Sie etwas Essig da?«
Mit den schon im Häuschen verbreiteten Gerüchen mischte sich nun auch noch das Essigaroma.
Wenige Augenblicke später kam Madame Grandmaison wieder zu sich, und nachdem sie einige Male nervös aufgeschluchzt hatte, fiel sie in einen Zustand fast völliger Lethargie.
»Fühlen Sie sich in der Lage zu gehen?«
Sie nickte. Sie konnte tatsächlich gehen, aber ihre Schritte waren wie abgehackt.
»Sie folgen mir, Messieurs, nicht wahr? Ich hoffe, ich kann mich diesmal auf Ihren Gehorsam verlassen!«
Die Alte sah ihnen entsetzt nach, als sie durch ihre Küche gingen. Erst als sie draußen waren, kam sie zur Tür geeilt und rief:
»Werden Sie zum Mittagessen wieder da sein, Monsieur Raymond?«
Raymond! Zum zweitenmal wurde dieser Vorname genannt! Der Mann machte ein Zeichen, daß er nicht käme.
Die vier Personen setzten ihren Weg durch das Dorf fort. Vor dem Tabakladen blieb Martineau stehen und sagte zögernd zu Maigret:
»Entschuldigen Sie bitte, da ich nicht weiß, ob ich eines Tages hierher zurückkehre, möchte ich keine Schulden hinterlassen. Ich muß hier noch ein Telefongespräch, einen Grog und ein Päckchen Zigaretten bezahlen.«
Es war Maigret, der die Schulden für ihn beglich.
Sie kamen an der Kirche vorbei. Am Ende des Hohlweges erreichten sie den wartenden Wagen. Der Kommissar hieß seine Begleiter einsteigen und überlegte kurz, was er dem Chauffeur auftragen sollte.
»Nach Ouistreham! Halten Sie als erstes vor der Gendarmerie.«
Während der Fahrt wurde kein einziges Wort gewechselt. Immer noch Regen, ein eintöniger Himmel, der Wind, der allmählich wieder auffrischte und die nassen Bäume schüttelte.
Vor der Gendarmerie bat Maigret Martineau auszusteigen, und gab dem Polizisten Instruktionen.
»Sperren Sie ihn in die Zelle. Sie sind mir für ihn verantwortlich. Nichts Neues hier?«
»Der Schleppkahn ist eingetroffen. Man wartet, bis das Wasser gestiegen ist.«
Der Wagen fuhr weiter. Sie kamen am Hafen vorbei, und Maigret ließ noch einmal anhalten, um für einen Augenblick auszusteigen.
Es war Mittag. Die Schleusenarbeiter waren auf ihren Posten, denn ein Dampfer aus Caen war angekündigt. Der Sandstreifen am Strand war schmäler geworden, und die weißen Wellen schäumten fast bis an die Dünen.
Rechts beobachtete eine große Menschenmenge ein spannendes Schauspiel: der Schlepper aus Trouville lag weniger als fünfhundert Meter vor der Küste vor Anker. Ein kleines Boot näherte sich mühsam der ›Saint-Michel‹, die von der Flut wieder halb aufgerichtet worden war.
Durch die Scheiben des Wagens sah Maigret, daß der Bürgermeister ebenfalls diesem Manöver zusah. Kapitän Delcourt kam aus der Kneipe.
»Wird es klappen?« erkundigte sich der Kommissar.
»Ich glaube schon, daß wir sie wieder flottkriegen. Seit zwei Stunden sind ein paar Männer dabei, den Schoner von allem Ballast zu befreien. Wenn die Trossen nicht reißen …«
Und er musterte den Himmel, als wäre er eine Wetterkarte, von der man die Launen des Windes ablesen konnte.
»Es muß nur alles erledigt sein, ehe die Flut ihren Höchststand erreicht hat.«
Er entdeckte den Bürgermeister und dessen Frau im Auto, grüßte sie respektvoll und sah dann Maigret fragend an.
»Neuigkeiten?«
»Weiß nicht.«
Lucas kam herbei und er hatte Neuigkeiten. Aber bevor er sie preisgab, zog er seinen Chef beiseite.
»Man hat Grand-Louis geschnappt.«
»Was?!«
»Seine eigene Schuld. Die Gendarmen aus Dives haben heute morgen Fußspuren auf den Feldern entdeckt. Da war jemand schnurstracks geradeaus gegangen, hatte Hecken übersprungen … Die Spur führte zur
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