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Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän

Titel: Maigret und der geheimnisvolle Kapitän Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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fand sich all das in der Frau, die er jetzt vor sich hatte. Aber da trat noch etwas anderes hinzu: Sie zeigte mehr Kaltblütigkeit und mehr Schneid als ihr Begleiter, der nahe daran war, die Fassung zu verlieren.
    »Gib mir den Brief«, sagte sie, als er sich anschickte, ihn zu zerreißen.
    Es stand fast nichts darauf:
     
    Sehr geehrter Herr Direktor
    ich bitte Sie höflichst …
     
    Es war eine große, schräge Schrift, wie man sie zu Beginn des Jahrhunderts in den Mädchenpensionaten gelehrt hatte.
    »Sie haben heute morgen zwei Anrufe bekommen, nicht wahr!? Einen von Ihrem Mann … Oder nein, vielmehr haben Sie ihn angerufen, um ihm zu sagen, daß Sie nach Ouistreham kämen. Dann ein Anruf von Monsieur Martineau, der Sie hierher zu kommen bat. Er ließ Sie mit einem Lieferwagen an der Kreuzung abholen.«
    Hinter dem Tintenfaß lag etwas auf dem Tisch, das Maigret bis dahin nicht bemerkt hatte: Ein Bündel Tausendfrancscheine.
    Martineau folgte seinem Blick. Zu spät, es zu verstecken! Da ließ er sich, von einer plötzlichen Mattigkeit erfaßt, auf die Bettkante sinken und blickte niedergeschlagen zu Boden.
    »Haben Sie ihm dieses Geld mitgebracht?«
    Es war wieder einmal die typische Atmosphäre dieses Falles! Dasselbe wie in der Villa in Ouistreham, als er Grand-Louis dabei überraschte, wie er den Bürgermeister verdrosch und wie dann beide schwiegen! Dasselbe wie in der vergangenen Nacht an Bord der ›Saint-Michel‹, als die drei Männer ihm jede Antwort verweigerten!
    Diese Hartnäckigkeit! Der feste Vorsatz, nicht das geringste erklärende Wort abzugeben.
    »Ich vermute, daß dieser Brief an einen Schuldirektor gerichtet ist. Da Ihr Sohn im Stanislas ist, geht es in dem Brief wahrscheinlich um ihn. Was das Geld betrifft … Ja, natürlich! Martineau hat das gestrandete Schiff in aller Eile verlassen und an Land schwimmen müssen. Wahrscheinlich hat er seine Brieftasche dortgelassen … Sie haben ihm das Geld gebracht, damit …«
    Plötzlich änderte er den Ton und fragte:
    »Und die anderen, Martineau? Alle gesund und munter?«
    Der Mann zögerte, aber er konnte schließlich nicht umhin, zustimmend die Augen niederzuschlagen.
    »Ich frage Sie gar nicht erst, wo sie sich verstecken. Ich weiß, daß Sie es mir nicht sagen werden.«
    »Stimmt.«
    »Was stimmt!?«
    Die Tür war aufgestoßen worden, und es war der Bürgermeister, der diese letzten Worte mit wutschnaubender Stimme gesprochen hatte. Er war nicht wiederzuerkennen, keuchte vor Zorn, ballte die Fäuste, bereit, sich auf den Feind zu stürzen. Und sein Blick glitt von seiner Frau zu Martineau, von Martineau auf das Geldbündel, das noch auf dem Tisch lag.
    Es war ein drohender Blick, in dem zugleich aber auch Angst und Verzweiflung standen.
    »Was stimmt? Was hat er gesagt? Welche neue Lüge hat er erfunden? Und sie … sie, die … die …«
    Die Stimme versagte ihm. Er erstickte fast. Maigret hielt sich bereit einzugreifen.
    »Was stimmt? Was geht hier vor? Und was für ein Komplott wird hier geschmiedet? … Wem gehört dieses Geld?«
    Im Nachbarzimmer hörte man die Alte umhertrippeln, hörte, wie sie auf der Schwelle ihre Hühner rief:
    »Komm, put, put, komm …«
    Maiskörner rieselten über die ausgetretenen Steinstufen. Ein Huhn der Nachbarin wurde mit einem Fußtritt verjagt.
    »Friß dich zu Hause satt, du schwarzer Teufel!«
    In dem Schlafzimmer kein Mucks. Dumpfes Schweigen. Ein Schweigen so tief und drückend wie der Himmel an diesem regnerischen Morgen.
    Menschen, die Angst hatten. Denn sie hatten Angst! Alle! Martineau, die Frau, der Bürgermeister! Sie hatten Angst, jeder bangte für sich, konnte man sagen. Jeder hatte eine andere Angst!
    Da sprach Maigret wie ein Richter in langsamem, feierlichem Ton:
    »Ich bin von der Staatsanwaltschaft mit dem Aufspüren und der Festnahme des Mörders von Kapitän Joris beauftragt, der von einer Revolverkugel am Schädel verletzt und einen Monat später in seinem Haus mit Strychnin vergiftet worden ist. Hat einer von Ihnen hierzu eine Erklärung abzugeben?«
    Niemand hatte bis dahin gemerkt, daß das Zimmer nicht geheizt war. Aber plötzlich froren alle. Jede Silbe Maigrets hatte wie in einer Kirche gehallt und es war, als vibrierten die Worte noch in der Luft.
    »… vergiftet … Strychnin …«
    Und vor allem der Schluß:
    »Hat einer von Ihnen hierzu eine Erklärung abzugeben?«
    Martineau senkte als erster den Kopf. Madame Grandmaison blickte mit glänzenden Augen abwechselnd zu ihrem

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