Maigret und der geheimnisvolle Kapitän
kleinen Haus vorbei, vor dem Hühner scharrten, und eine Frau musterte die beiden Männer erstaunt. Dann tauchte vor ihnen die Rückseite einer Kirche auf, die kaum größer als eine Hütte war. Links befand sich ein Tabakladen.
»Erlauben Sie?« sagte Maigret und zeigte seinen leeren Tabaksbeutel.
Er trat allein in den Laden, in dem neben Lebensmitteln alles mögliche verkauft wurde. Ein alter Mann kam aus einem niedrigen Hinterzimmer und rief seine Tochter, die den Tabak dann verkaufte. Da die Tür offenblieb, konnte Maigret das Wandtelefon entdecken.
»Wann hat mein Freund heute morgen hier telefoniert?«
Das Mädchen zögerte keine Sekunde.
»Vor einer guten Stunde.«
»Dann ist die Dame also gekommen?«
»Ja. Sie ist sogar hereingekommen, um nach dem Weg zu fragen. Es ist nicht schwer zu finden. Das letzte Haus in der Gasse rechts.«
Er verließ den Laden in aller Ruhe. Monsieur Grandmaison stand vor der Kirche und blickte sich auf eine Art und Weise um, die den Argwohn der Dorfbewohner wecken mußte.
»Mir kommt da ein Gedanke«, murmelte Maigret. »Teilen wir uns die Arbeit. Sie suchen links, zu den Feldern hin, und ich wende mich nach rechts.«
Er bemerkte das Funkeln in den Augen seines Begleiters. Der Bürgermeister war begeistert, versuchte aber, es nicht zu zeigen. Er hoffte, seine Frau zu finden, und er würde mit ihr sprechen können, ohne daß der Kommissar dabei war.
»Gut«, antwortete er mit gespielter Gleichgültigkeit.
Der Weiler bestand aus nicht mehr als zwanzig Häuschen, die dicht aneinander gebaut waren und dadurch eine Art Straße bildeten, was aber keinen daran hinderte, seinen Misthaufen vor das Haus zu setzen. Immer noch fiel ein feiner Sprühregen, und kein Mensch war draußen zu sehen. Aber Gardinen bewegten sich, und dahinter ahnte man die runzligen Gesichter alter Frauen, die im dunklen Zimmer saßen.
Ganz am Ende des Weilers, genau vor dem Zaun einer Wiese, auf der zwei Pferde galoppierten, stand ein niedriges Haus mit schiefem Dach. Zwei Stufen führten zum Eingang hinauf. Maigret drehte sich um, hörte die Schritte des Bürgermeisters am anderen Ende des Dorfes, unterließ es, an die Tür zu klopfen, und trat ein.
Sofort bewegte sich etwas in dem Halbdunkel, in dem der Schein einer Feuerstelle flackerte. Eine dunkle Silhouette, der weiße Fleck einer Haube.
»Wer ist da?« fragte eine alte Frau, die herbeigetrippelt kam.
Es war warm. Es roch nach Stroh, Kohl und Hühnerstall. Irgendwo beim Herd mußten Küken herumpicken.
Maigret, der mit dem Kopf fast gegen die Decke stieß, sah eine Tür im Hintergrund des Zimmers, und es war ihm klar, daß er schnell handeln mußte. Ohne ein Wort zu verlieren, ging er auf diese Tür zu, riß sie auf. Madame Grandmaison saß schreibend da. Jean Martineau stand neben ihr.
Einen Augenblick lang herrschte Verwirrung. Die Frau erhob sich von ihrem Stuhl mit der strohgeflochtenen Sitzfläche. Martineaus erste Reaktion war, nach dem Briefbogen zu greifen und ihn zu zerknüllen. Instinktiv traten die beiden näher zueinander hin.
Das Haus hatte nur zwei Räume. Dieser war das Schlafzimmer der Alten. An den weißgekalkten Wänden hingen zwei Porträts und bunte Drucke in schwarzen und goldenen Rahmen. Ein sehr hohes Bett. Der Tisch, an dem Madame Grandmaison geschrieben hatte, diente sonst als Waschtisch, aber man hatte die Waschschüssel weggestellt.
»Ihr Mann wird in wenigen Minuten hier sein«, sagte Maigret ohne Umschweife.
Und Martineau knurrte wütend:
»Haben Sie ihn hergebracht?«
»Sei still, Raymond.«
Die Worte kamen von ihr. Sie duzte ihn. Und sie nannte ihn nicht Jean, sondern Raymond. Maigret registrierte diese Details und ging zur Tür, um zu horchen, kehrte dann zu dem Paar zurück.
»Wollen Sie mir bitte diesen angefangenen Brief geben?«
Sie blickten sich an. Madame Grandmaison war blaß und wirkte erschöpft. Maigret hatte sie ja schon einmal gesehen, aber damals als Dame von Welt, als Herrin des Hauses, die sich der heiligen Aufgabe gewidmet hatte, Gäste zu empfangen. Dabei war ihm ihre perfekte Erziehung aufgefallen und die selbstverständliche Anmut, mit der sie eine Tasse Tee zu halten oder ein Kompliment zu erwidern wußte.
Er hatte sich ihr Leben ausgemalt: Die Führung des Haushalts in Caen, die Empfänge, die Erziehung der Kinder. Zwei oder drei Monate jährlich in einem Luftkurort oder Seebad. Mittelmäßige Koketterie. Würde war ihr wichtiger als die Sorge, hübsch auszusehen.
Zweifellos
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