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Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet

Titel: Maigret und der verstorbene Monsieur Gallet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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die nun eine Weile lang sich selbst überlassen blieben.
    »Ich kann Ihnen nicht mehr sagen als das, was in unserem Register steht. Hier, sehen Sie: Gallet, Emile-Yves-Pierre, geboren 1879 in Nantes. Heirat mit Aurore Préjean im Oktober 1902 in Paris. Ein Sohn, Henry, geboren 1906 in Paris, registriert im 9. Arrondissement … «
    »Die Familie ist hier nicht besonders beliebt, wie?«
    »Nun, man muß die Leute verstehen. Die Gallets ließen ihre Villa 1910 bauen, als der Wald in Parzellen aufgeteilt wurde, aber sie haben nie mit den Einheimischen verkehrt … Sie sind sehr stolz … Ich zum Beispiel habe oft sonntagelang keine zehn Meter von Monsieur Gallet entfernt in meinem Boot gesessen und geangelt. Wenn ich etwas brauchte, gab er es mir, aber nie hätte ich auch nur fünf zusammenhängende Sätze aus ihm herausgebracht …«
    »Wieviel Geld gaben sie nach Ihrer Schätzung aus?«
    »Das weiß ich nicht genau, da ich keine Ahnung habe, was er auf seinen Reisen verbrauchte. Aber allein schon das Leben, das sie hier führten, muß sie mindestens zweitausend Franc im Monat gekostet haben … Wenn Sie die Villa gesehen haben, wissen Sie ja Bescheid. Da ist alles vorhanden. Die meisten Lebensmittel lassen sie sich aus Corbeil oder Melun kommen. Auch das hat …«
    Durch das Fenster sah Maigret den Trauerzug um die Kirche biegen und im Friedhof verschwinden. Er dankte dem Lehrer und ging. Von weitem hörte er, wie die ersten Erdschollen auf den Sarg polterten.
    Er mied den Friedhof und kehrte auf Umwegen zu der Villa zurück, wo er, wie beabsichtigt, unmittelbar nach den beiden Gallets eintraf. Das Mädchen öffnete, sah ihn zweifelnd an.
    »Madame kann jetzt …« begann sie.
    »Sagen Sie Monsieur Henry, ich müsse ihn unbedingt sprechen.«
    Das schielende Geschöpf ließ ihn draußen stehen. Nach einer Weile tauchte im Flur die Gestalt des jungen Mannes auf, näherte sich der Tür. Über Maigrets Kopf hinwegblickend, sagte Henry:
    »Können Sie Ihren Besuch nicht auf später verschieben? Meine Mutter ist sehr mitgenommen …«
    »Ich bedaure, aber ich muß Sie sprechen, und zwar heute.«
    Henry drehte sich auf dem Absatz um, was mehr oder weniger einer Einladung gleichkam, und Maigret folgte ihm ins Haus. Nach einigem Zögern stieß der junge Mann die Tür zum Eßzimmer auf. Der Raum war mit den Möbeln aus dem Salon so vollgestopft, daß man sich kaum bewegen konnte.
    Maigret sah das Porträt des Erstkommunikanten auf dem Tisch liegen. Emile Gallets Foto suchte er vergeblich.
    Henry machte keine Miene, sich zu setzen. Schweigend nahm er die Brille ab. Seine vom grellen Licht überraschten Lider zuckten, während er mit gelangweiltem Gesicht die Gläser putzte.
    »Sie wissen vermutlich, daß ich beauftragt bin, den Mörder Ihres Vaters zu finden …«
    »Ja, und deshalb wundere ich mich, Sie hier zu sehen – zu einem Zeitpunkt, da es doch sicher angemessener wäre, meine Mutter und mich in Ruhe zu lassen.«
    Er setzte die Brille wieder auf, schob eine seiner gestärkten Manschetten, die ihm über die Hand gerutscht war, zurück. Die Hand war mit dem gleichen rötlichen Flaum bedeckt wie die Brust des Toten in Sancerre. Henrys knochiges Gesicht mit den scharfen Zügen, dem mürrischen, an ein Pferd erinnernden Ausdruck blieb unbeweglich. Er lehnte an dem schräg beiseite gerückten Klavier, von dem man nur die mit grünem Filz bespannte Rückseite sah.
    »Ich muß Sie um einige Auskünfte über Ihren Vater und Ihre Familienverhältnisse bitten.«
    Henry sagte kein Wort, zuckte nicht mit der Wimper, rührte sich nicht von der Stelle. Seine Miene war eisig.
    »Erste Frage: Wo waren Sie am Samstag, dem 25. Juni, gegen vier Uhr nachmittags?«
    »Darauf werde ich mit einer anderen Frage antworten: Bin ich in einem Augenblick wie diesem verpflichtet, Sie zu empfangen und Ihnen Rede und Antwort zu stehen?«
    Er sagte es mit monotoner, zutiefst gelangweilter Stimme, als machte ihn jede Silbe müde.
    »Es steht Ihnen frei zu schweigen. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam …«
    »Wo soll ich denn laut Ihren Ermittlungen gewesen sein?«
    Maigret schwieg, genauer gesagt, der unerwartete Gegenangriff hatte ihm die Sprache verschlagen, und zwar um so mehr, als das Gesicht des jungen Gallet bis zu diesem Augenblick völlig ausdruckslos geblieben war.
    Henry ließ mehrere Sekunden verstreichen. Man hörte eine Frauenstimme im ersten Stock, dann die Antwort des Dienstmädchens im Flur:
    »Ich komme, Madame!«
    »Nun?«
    »Da Sie

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