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Maigret verteidigt sich

Maigret verteidigt sich

Titel: Maigret verteidigt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Whisky getrunken habe, während ich glaubte, nur einen zu trinken. Alle standen dicht nebeneinander. Es war heiß und rauchig in dem Lokal.
    ›Kommen Sie. Ich habe hier nur zwei Zuhälter entdeckt, die mich nicht interessieren. Der Mann, den ich suche, ist woanders…‹
    ›Ich möchte lieber nach Hause zurück…‹
    ›Geben Sie mir noch eine halbe Stunde, und Sie werden bestimmt das Glück haben, einer sensationellen Verhaftung beizuwohnen, über die morgen auf den Titelseiten der Zeitungen berichtet wird.‹«
    Damit ihre Geschichte glaubhaft blieb, mußte er Zeit gehabt haben, sie betrunken zu machen. Sie mußte sich auch mit Andeutungen begnügen, damit es unmöglich war, die Lokale wiederzufinden, in die er sie angeblich mitgenommen hatte. Kurz – die beiden Geschichten, die beide falsch waren, mußten so aufeinander abgestimmt werden, daß es für jede die gleichen Anhaltspunkte in der Wirklichkeit gab.
    »Das zweite Lokal war in einem Keller, man spielte dort Jazz. Leute tanzten. Ich kenne die Keller von Saint-Germain-des-Près nicht, aber ich nehme an, so einer war es. Der Kommissar hat mir wieder zu trinken gegeben. Ich war nicht mehr ganz nüchtern. Ich spürte, daß ich schwankte, und ich habe geglaubt, ein Schnaps würde mir guttun.
    Dann wird es immer verschwommener, mit vielen Lücken in meinem Gedächtnis. Auf dem Gehsteig hat er mich untergefaßt und dann seinen Arm um meine Taille geschlungen. Er meinte, ich könnte sonst fallen. Ich habe versucht, ihn zurückzustoßen. Er hat mich durch eine Tür gehen lassen und dann durch einen schlecht beleuchteten Flur. Er hat mit jemandem gesprochen, der hinter einem Schalter saß, einem alten, schlecht rasierten Mann mit weißem Haar.
    Ich sehe noch die schmale Treppe vor mir, den roten Läufer, Türen mit Nummern, den Kommissar, der einen Schlüssel drehte. Ich wiederholte mechanisch:
    ›Nein… Nein! Ich will nicht…‹
    Er lachte. Wir waren in einem Zimmer neben einem Bett…
    ›Lassen Sie mich! Lassen Sie mich, oder ich rufe…‹
    Ich möchte schwören, er hat geantwortet:
    ›Sie vergessen eines: die Polizei, das bin ich.‹«
    Das stimmte fast. Aber natürlich nicht der letzte Satz. Und das junge Mädchen hatte sich auch nicht gewehrt. Maigret hatte sie auch nicht von Bar zu Bar geführt und ihr nichts zu trinken spendiert.
    Was stimmte, war die Begegnung in Desirés Lokal, aber das Gespräch war ganz anders gewesen. Das Mädchen nannte sich da zwar auch Nicole, behauptete aber, ihr Familienname sei Carvet und sie sei die Tochter eines Richters in La Rochelle. Ihre Freundin, die sie mit Marco am Bahnhof abgeholt hatte, hieß Laure Dubuisson und war die Tochter eines Fischhändlers in der gleichen Stadt.
    »Wenn ich recht verstehe, wissen Sie weder wo Ihre Freundin wohnt, noch wohin man Sie gebracht hat oder wo Sie Ihr Gepäck gelassen haben. Sie können darum auch nicht das Hotel wiedererkennen, aus dem Sie geflohen sind und wo Sie Ihre Handtasche mit Ihren Ersparnissen gelassen hatten…«
    Sie war noch betrunken, und ihr Atem roch nach Alkohol.
    »Wichtig ist vor allem, für Sie ein Bett für die Nacht zu finden. Kommen Sie…«
    Es stimmte, er hatte Geld auf den Tisch geworfen. Ebenso stimmte es, daß er sie, als sie auf dem Boulevard Saint-Germain waren, untergefaßt hatte, um sie zu stützen, und später, als sie immer stärker schwankte, den Arm um ihre Taille gelegt hatte. Er kannte ein anständiges, nicht teures Hotel, das ›Hôtel de Savoie‹ in der Rue des Écoles. Sie waren unterwegs trotz Nicoles gegenteiliger Behauptung nirgends eingekehrt.
    »Wie konnten Sie Ihrer Freundin schreiben, wenn Sie Ihre Adresse nicht wußten?«
    Mit pappiger Stimme antwortete sie:
    »Glauben Sie, daß ich lüge, daß ich Ihnen Märchen erzähle? Ich habe ihr postlagernd geschrieben! Laure hatte immer ein Faible für Geheimnisse. Schon in der Schule als kleines Mädchen wollte Sie einem einreden…«
    Er erinnerte sich nicht mehr, was Laure einem einreden wollte. Er hörte kaum zu, hatte es eilig, sie loszuwerden.
    Es stimmte freilich auch, daß der Nachtportier im ›Hôtel de Savoie‹ schlecht rasiert und weißhaarig war und daß er ihm einen Schlüssel gereicht und gemurmelt hatte:
    »Zweiter Stock links…«
    Es gab dort keinen Fahrstuhl.
    »Helfen Sie mir, die Treppe hinaufzugehen? Ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten.«
    Er hatte ihr geholfen, und jetzt ließen sich Wahrheit und Märchen kaum noch voneinander trennen.
    »Ich kann nicht

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