Maigret verteidigt sich
außergewöhnliche Intelligenz… Man hatte ihm das immer wieder gesagt. Er hatte es bewiesen… Er hatte ganz unten angefangen… ganz unten… und er…
»Nicht sie, Herr Doktor«, sagte Maigret, um dieser peinlichen Szene ein Ende zu machen. »Als ich kam, wußte ich schon alles oder fast alles. Ich brauchte nur eine Bestätigung…«
Kein Haß in den Augen Mélans, die den Kommissar anstarrten. Was hatte ihn Pardon bei ihrem letzten Abendessen in der Rue Popincourt gefragt? Ein gemeines Verbrechen, bewußt verübt… Das Böse um des Bösen willen…
Einen Augenblick hatte Maigret geglaubt, dem zum erstenmal in seiner Laufbahn zu begegnen…
Mélan haßte ihn nicht. Mélan haßte niemanden. Er hatte Angst. Vielleicht hatte er sein Leben lang Angst gehabt.
»Ich habe mit Professor Vivier telefoniert…«
Die Verblüffung des Zahnarztes wuchs noch, aber er sagte kein Wort.
»Er wird als Entlastungszeuge auftreten… Ich vielleicht auch…«
Epilog
Zwanzig Minuten später hielt Mélans Wagen vor dem Kommissariat des 3. Arrondissements in der Rue Perrée, und Maigret stieg als erster aus.
Als sie den Flur betraten, ging der Zahnarzt voraus.
»Ein Stück weiter… die zweite Tür links…«
Einer der Inspektoren las, die Füße auf dem Tisch, eine Zeitung und rauchte dabei seine Pfeife. Ein anderer tippte auf einer klapprigen Schreibmaschine einen Bericht.
Beide erhoben sich, als sie den Kommissar erkannten.
»Guten Abend, Messieurs. Entschuldigen Sie, daß ich Sie störe. Ich bin nicht im Dienst. Ich begleite nur Dr. Mélan, der eine Aussage zu Protokoll geben möchte. Ich nehme an, du wirst sie tippen, Bassin.« Er kannte den Inspektor seit zwanzig Jahren.
»Es ist möglich, daß Sie den Arzt nachher ins Untersuchungsgefängnis bringen müssen. Aber behutsam, nicht brutal. Guten Abend, Doktor.«
Als Maigret nach Hause kam, waren die Pardons schon gegangen, aber Madame Maigret lag noch nicht im Bett.
»Nun?«
»Er ist gerade dabei, zu gestehen.«
»Was?«
»Alles. Alles, was er auf dem Herzen hat. Wir werden es morgen aus den Zeitungen erfahren. Aus den Nachmittagszeitungen, denn für die Morgenzeitungen ist es schon zu spät.«
»Ist es der, der dich in diese üble Situation gebracht hat?«
»Er hatte Angst, weil er mich an einem Fenster gesehen hat und glaubte, ich überwachte ihn.«
»Was wirst du tun?«
»Warten.«
Um zehn Uhr morgens brachte ein Polizist, der auf dem Fahrrad gekommen war, eine Vorladung. Maigret wurde jedoch nicht zum Polizeipräfekten zitiert, sondern zum Leiter der Kriminalpolizei.
»Herein.«
Die Pfeife im Munde, wie er seit so vielen Jahren jeden Morgen dieses Büro betrat, wer auch gerade hier Chef war, trat er ein.
»Ach, Sie sind’s, Maigret. Nehmen Sie Platz. Was soll ich Ihnen sagen?«
»Nichts, Herr Direktor.«
»Herr Direktor?«
»Chef, wenn Sie das lieber hören.«
»Ich höre das lieber.«
»Sind Sie mir böse?«
»Nein.«
»Ich habe den Polizeipräfekten angerufen, der mit dem Innenminister telefoniert hat.«
»Und der hat seinen Freund, Jean-Baptiste Prieur, angerufen…«
»Wahrscheinlich… Janvier erwartet Sie in Ihrem Büro… Er hatte heute nacht Dienst… Er ist vom 3. Arrondissement benachrichtigt worden.
In aller Frühe hat er sich mit einem Erdarbeiter in die Rue des Acacias begeben, wo man die Leichen von drei Frauen ausgegraben hat. Die erste ist vor etwa fünf Jahren dort verscharrt worden. Bei der zweiten ist sich der Gerichtsarzt noch nicht sicher, ob sie vor zwei oder drei Jahren ermordet worden ist. Die dritte ist vor weniger als einem Monat gestorben.«
Auch der Leiter der Kriminalpolizei hatte noch eine Frage. Wie Maigret… Aber er wagte nicht, sie laut zu äußern.
»Sie werden natürlich die Untersuchung fortsetzen…«
Und dann beweisen, daß Manuel der Mann war, der mit den Juwelendieben unter einer Decke steckte.
Man sollte ihn noch oft in der Rue des Acacias sehen.
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