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Maigret verteidigt sich

Maigret verteidigt sich

Titel: Maigret verteidigt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Rotwein tranken. In einer Ecke saß ein Mann mittleren Alters vor einer Tasse Kaffee und schrieb einen Brief.
    Desiré hatte seinen Gast vom letzten Abend sofort erkannt, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er vermied es, ihm ins Gesicht zu blicken, und machte sich mit Gläsern und Flaschen zu schaffen.
    »Einen Weißwein. Aber diesmal einen offenen.«
    Der Mann mit den runden Augen und dem gelblichen Teint, der unter der Hitze zu leiden schien, stellte ein Glas auf die Theke und jonglierte mit einer Flasche.
    »Sechzig Centimes…«
    Die Gipsarbeiter kümmerten sich nicht um Maigret. Der Mann, der den Brief schrieb und dessen Kugelschreiber nicht zu funktionieren schien, auch nicht.
    »Sagen Sie…«
    Desiré wandte sich ihm mißmutig zu.
    »Habe ich gestern abend bei Ihnen etwas vergessen? Habe ich nicht meinen Schirm hier stehenlassen?«
    »Niemand hat einen Schirm stehenlassen.«
    »Erinnern Sie sich an das junge Mädchen, das auf mich wartete, nachdem sie mich angerufen hat? Hat sie von Ihnen eine oder zwei Telefonmünzen verlangt?«
    Der Wirt schwieg mit trotziger Miene.
    »Das geht mich nichts an. Im übrigen habe ich vergessen, was gestern abend war. Ich habe keine Lust, davon zu sprechen.«
    »War heute morgen jemand hier, der Ihnen empfohlen hat, zu schweigen?«
    Die Handwerker spitzten plötzlich die Ohren und musterten den Kommissar von Kopf bis Fuß.
    »Es macht sechzig Centimes«, wiederholte der Wirt. Maigret legte ein Francstück auf die Theke und ging zur Tür. »Sie bekommen noch etwas heraus. Ich nehme keine Trinkgelder.«
    Die Szene unterschied sich kaum von der im ›Hôtel de Savoie‹ in der Rue des Écoles. Die Wirtin war eine dicke Frau mit rotgefärbtem Haar, aber sonst noch ganz knusprig. Sie saß im Büro neben dem Schlüsselbrett.
    »Guten Tag, Madame…«
    Er merkte an dem ersten Blick, den sie ihm zuwarf, daß sie wußte, wer er war. Er stellte sich trotzdem vor.
    »Kommissar Maigret von der Kriminalpolizei.«
    »Ja?«
    »In der letzten Nacht habe ich ein junges Mädchen hier einquartiert. Ich bin gekommen, um ihr Zimmer zu bezahlen, denn sie hatte kein Geld bei sich.«
    »Sie schulden mir nichts.«
    »Hat sie es bezahlt?«
    »Das spielt keine Rolle. Sie schulden mir nichts.«
    »Es war also heute morgen jemand hier, hat die Rechnung für sie bezahlt und Ihren Nachtportier ausgefragt?«
    »Hören Sie, Herr Kommissar, ich weiß, wer Sie sind, und ich habe nichts gegen Sie. Aber ich möchte keine Scherereien haben. Ich kenne jene Person nicht. Meine Bücher sind in Ordnung. Die Polizei hat mir nie etwas vorzuwerfen gehabt, und auch das Finanzamt nicht.«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Es tut mir leid, daß ich Ihnen keine andere Auskunft geben kann.«
    »Ich verstehe.«
    Man hatte schnell gehandelt. Es war sinnlos, Martine Bouet anzurufen, die Freundin, bei der Mademoiselle Prieur den Abend verbracht hatte, um Schallplatten zu hören. Sie würde auch nicht mehr sagen. Es war übrigens fast sicher, daß Nicole vom ›Desiré‹ bei der Freundin angerufen hatte.
    Es war nicht der Polizeipräfekt, der diese Affäre angezettelt hatte. Er schätzte die Polizeibeamten der alten Schule nicht, und das war sein Recht. Er mochte vor allem Maigret nicht, über den die Zeitungen nach seinem Geschmack zuviel schrieben. Auch das war sein Recht.
    Der bestürzte Innenminister hatte ihn am Morgen angerufen, um ihn von einer Geschichte in Kenntnis zu setzen, die ihnen beiden Schwierigkeiten zu bereiten drohte.
    Jene Leute waren weder Helden noch Heilige. Nur durch Intrigen hatten sie ihre Posten bekommen, und sie mußten noch so manches verdauen, um ihre Stellung zu behalten.
    War Maigret in eine zweifelhafte Geschichte verwickelt, in einen Skandal? Ein einflußreicher Würdenträger des Landes beschwerte sich und drohte, sich an eine noch höhere Stelle zu wenden.
    Das alles war menschlich. Und welche Genugtuung für den ›Besen‹, einen älteren und populären Mann vor sich zu haben und ihm mit sanfter Stimme die Leviten zu lesen!
    Paris briet in der Sonne. Vor vielen Fenstern waren die Jalousien heruntergelassen. Hier und dort angelten Männer, und man sah noch andere Verliebte als die auf dem Pont Saint-Michel. Ein Paar hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen und ließ die bloßen Füße über dem Wasser baumeln. Sie lachten, während sie ihre Zehen betrachteten, die sie auf groteske Art bewegten.
    »Janvier!«
    »Ich komme sofort, Chef.«
    Er telefonierte gerade. Als er Maigrets Büro betrat, brachte er

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