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Maigret verteidigt sich

Maigret verteidigt sich

Titel: Maigret verteidigt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Zeitlang bei Vivier gearbeitet hat. Haben Sie sie auch gesehen?«
    »Ja.«
    »Stimmt es, daß sie sehr häßlich ist?«
    »Unglaublich häßlich.«
    »Man sagt, sie ist eine Giftkröte – das ist das Wort, das Vivier benutzt hat. In Wirklichkeit aber ist sie sehr sensibel und sehr aufopfernd, und oft ruft man sie, wenn in ihrem Viertel jemand krank ist oder wenn man jemanden braucht, der bei einem Sterbenden wacht…«
    »In welchem Viertel wohnt sie?«
    »Danach habe ich nicht gefragt. Ich kann aber Vivier anrufen und mich nach ihrer Adresse erkundigen…«

 
    Achtes Kapitel
     
     
     
    Maigret war geradezu unheimlich ruhig. Ihm war nichts von dem anzumerken, was in ihm vorging. Er schien nur tief in Gedanken versunken. Pardon sah ihn zum erstenmal in dem Augenblick, wenn die Fäden einer Untersuchung sich zu verknüpfen beginnen, wenn eine Wahrheit allmählich Gestalt annimmt, und er beobachtete seinen Freund, als wollte er hinter diesem ausdruckslosen Gesicht die sich verbergenden Triebkräfte entdecken.
    »Was für ein Mensch ist Vivier? Ist er großzügig und aufgeschlossen?«
    »Außer, wenn man mit ihm über das Eingreifen des Staates in ärztliche Belange spricht. Er gehört zu den wütendsten Gegnern jeder Bevormundung und ist ein leidenschaftlicher Individualist.«
    Maigret zog an seiner Pfeife und schwieg. Schließlich sagte er:
    »Besteht die Möglichkeit, ihn bei sich zu Hause zu erreichen?«
    »Er schreibt an einem Buch über Kieferheilkunde, sein Lebenswerk. Er arbeitet oft bis tief in die Nacht.«
    »Würden Sie ihn bitte anrufen und ihn fragen, ob er mir erlaubt, ihm ein paar Worte zu sagen?«
    Einen Moment später sprach Pardon mit Vivier am Telefon.
    »Hier Pardon. Ich rufe Sie aus der Wohnung meines Freundes Maigret an und bitte Sie zu entschuldigen, daß ich Sie bei Ihrer Arbeit störe. Der Kommissar würde gern kurz mit Ihnen sprechen…«
    Die Antwort mußte komisch sein, denn der Arzt lächelte.
    »Aber ja… Ich gebe ihn Ihnen…«
    Er reichte Maigret den Hörer.
    »Ich bitte Sie ebenfalls um Entschuldigung, Herr Professor. Wenn Sie bereit wären, mir zwei oder drei Fragen zu beantworten, würden Sie mir meine Aufgabe ungeheuer erleichtern… Ja, Pardon hat mir von seinem Gespräch mit Ihnen berichtet, das für mich hochinteressant ist. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß ich mich ganz privat an Sie wende. Ich habe für unbestimmte Zeit einen Erholungsurlaub angetreten… Nein, ich bin nicht krank oder aber, wenn ich es bin, ist es sehr ernst, denn mein Freund Pardon, mein Arzt, versichert, daß ich vollkommen gesund bin.
    Die Wahrheit ist, daß ich mich im Laufe einer Untersuchung mit Leuten habe befassen müssen, die einen langen Arm haben. Und da ich es gewohnt bin, eine Sache bis zum Ende durchzuführen, hat man mir eindringlich geraten, mich einige Tage auszuruhen.
    Nun zu meiner ersten Frage, Herr Professor: Würde es Sie sehr überraschen, wenn Sie erführen, daß Ihr ehemaliger Assistent Dr. Mélan eine oder mehrere verbrecherische Handlungen begangen hat?«
    Am anderen Ende der Leitung vernahm man so etwas wie ein Bellen, das ein Lachen sein konnte. Als Viviers Stimme wieder zu hören war, klang sie wie die eines Mannes, der seine Meinungen hat und sie unumwunden ausspricht.
    »Ich würde kaum erstaunt sein, mein lieber Kommissar, wenn man mir das gleiche über mich, Sie oder meine Concierge sagte. Unter einem entsprechenden äußeren oder inneren Druck ist jeder fähig, Taten zu begehen, die das Gesetz und die Moral mißbilligen.«
    »Würden Sie in seinem Fall eher an einen inneren als an einen äußeren Druck denken?«
    »Haben Sie ihn gesehen?«
    »Ich war heute morgen einige Minuten bei ihm.«
    »Hat Pardon Ihnen wiederholt, was ich ihm über Mélan gesagt habe?«
    »Er hat es soeben getan.«
    »Und was ist Ihre Ansicht?«
    »Ich möchte lieber die Ihre kennenlernen.«
    »Ein innerer Druck, ganz ohne jeden Zweifel. Mélan ist der klassische Typ des Introvertierten, der es seinen Gefühlen nicht erlaubt, nach außen zu dringen. Bis auf ein oder zwei Gespräche, in denen ich ihn mit einiger Mühe dazu bringen konnte, über sich zu sprechen, hat er sich wahrscheinlich nie jemandem anvertraut.«
    »Angenommen, er hätte ein Verbrechen begangen, irgendeines, würden Sie ihm dann verminderte Zurechnungsfähigkeit zubilligen?«
    »Stellen Sie die Frage dem Arzt oder dem Menschen? Als Arzt ist das nicht mein Gebiet. Ich würde es den Psychiatern überlassen, sich dazu zu

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