Maigret verteidigt sich
äußern, und ihre Ansicht würde von den Umständen abhängen…«
Ironisch fügte er hinzu:
»Auch vom Alter der Psychiater und der Schule, der sie angehören.«
»Und als Mensch?«
»Wie ich ihn kenne, würde ich gern Entlastungszeuge sein…«
»Meine zweite Frage ist schwerer zu formulieren, und ich fürchte, sie wird Sie verwundern. Würde ein Mann wie Mélan, der nicht mehr aus noch ein weiß, einfach oder kompliziert reagieren?«
»Sagen Sie, Monsieur Maigret, Sie scheinen ihn fast ebenso gut zu kennen wie ich. Kompliziert natürlich! Und das Wort kompliziert ist noch nicht stark genug. Als er bei mir arbeitete, hat Mélan immer wieder, selbst um eine Examensfrage zu beantworten, den kompliziertesten Weg gewählt. Er ist genau das Gegenteil von dem, was ich einen eingleisigen Geist nennen würde. Er ergreift alle Möglichkeiten, alle möglichen Verzweigungen eines Themas und ist verbissen darum bemüht, nichts unbeachtet zu lassen.«
»Ich danke Ihnen. Es bleibt mir nur noch, Sie um einen Dienst zu bitten, vorausgesetzt, daß Sie glauben, ihn mir erweisen zu können, und mir Ihr Vertrauen schenken. Es ist möglich, daß ich mich irre, es ist möglich, daß die Hypothesen, die ich in diesem Augenblick aufstelle, sich noch in dieser Nacht als falsch erweisen. Wenn die Tatsachen sie jedoch bestätigen, sind mehrere Menschen in Gefahr. Ein Gespräch mit Mademoiselle Motte würde zweifellos genügen, um diesen Punkt zu klären.
Ich nehme an, sie hat Telefon. Wenn Sie erreichen, daß sie mich bei sich zu Hause empfängt oder mich irgendwo trifft, aber noch heute abend, wird sich ein neues Drama wahrscheinlich verhindern lassen.«
»Jagt auch Ihnen die arme Motte Angst ein? Und dabei würden, wenn sie kein so abstoßendes Äußeres hätte, alle sie als Engel betrachten. Ich rufe sie an. Und wie ist Ihre Nummer?«
Maigret erhob sich, ging in den Salon, wo die beiden Frauen flüsterten, um Pardon und ihn nicht zu stören.
»Ich werde doch einen Schluck Zwetschgenwasser trinken. Es sei denn, Pardon nimmt mir das Glas aus den Händen.«
Aber Pardon tat es nicht. Er musterte immer noch seinen Freund mit bewunderndem Interesse, das aber nicht ganz frei von Furcht war. Er fragte sich, wovon Maigret ausgegangen war, um seine Hypothesen aufzustellen, und er hätte gern seinen Gedankengang rekonstruiert.
»Hallo… Ja, ich bin’s, Herr Professor. Sie ist bereit, mich sofort zu empfangen? Hat Ihnen das nicht zu große Mühe gemacht? Ein wenig? Darf ich Sie um ihre Adresse bitten? Ja, Rue des Francs-Bourgeois… ja. Ich kenne das Haus. Ich habe eine Zeitlang ganz in der Nähe, an der Place des Vosges, gewohnt… Ich bin Ihnen sehr dankbar. Ja… Auch für mich wäre es eine große Freude, Sie persönlich kennenzulernen…«
Als er wieder aufstand, war er immer noch so ruhig wie vorher, aber man sah in seinen Augen ein Funkeln, das vorher nicht darin gewesen war.
»Sie nehmen es mir hoffentlich nicht übel, Pardon, daß ich Sie mit den Damen allein lasse, übrigens besteht die Möglichkeit, daß das Gespräch abgehört worden ist. Wer weiß, ob nicht Leute, die sich für mein Tun und Lassen interessieren, vor mir dort sein werden. Unten gehen bestimmt ein oder zwei Inspektoren auf und ab.«
»Soll ich Sie nicht hinfahren? Ich habe meinen Wagen da und bin in wenigen Minuten wieder zurück…«
Sie gingen in den Salon.
»Gehst du fort? Für lange?«
»Ich habe noch keine Ahnung, wann ich wiederkommen werde…«
»Ist es auch nicht gefährlich?«
»An dem Punkt, an dem ich angelangt bin, nicht mehr. Pardon fährt mich hin und kommt dann gleich wieder.«
Unterwegs sagte er kein Wort. Kein Wagen folgte ihnen. Hatte man, da man wußte, daß er mit den Pardons zusammen war, die Überwachung gelockert?
In der Rue des Francs-Bourgeois im Viertel Marais standen noch einige historische Häuser, in denen jetzt ärmere Leute, kleine Handwerker zumeist, wohnten, von denen viele aus Polen, Ungarn oder dem ehemaligen Litauen stammten.
»Gute Nacht, Pardon. Vielen Dank. Wenn ich Erfolg habe, werde ich das zum großen Teil Ihnen verdanken…«
»Viel Glück!«
Maigret klingelte. Die unsichtbare Concierge öffnete eine kleine Tür, die sich in dem Portal befand, und er überquerte das, was einst der Ehrenhof irgendeines großen Herrn gewesen war.
»Ich möchte zu Mademoiselle Motte.«
Durch eine Luke antwortete eine Stimme:
»Zweiter Stock links, erste Tür…«
Im gleichen Augenblick, da er die Treppe erreichte,
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