Maigret verteidigt sich
davon und fand nur zum Teil den Geschmack von einst wieder. Dann ging er langsam zum Châtelet und wartete auf seinen Autobus. Er hatte es nicht eilig.
»Bist du sehr traurig?« fragte Madame Maigret, während sie den Tisch deckte, denn sie war überrascht, daß ihr Mann so früh nach Hause kam.
»Nein. Es war im Augenblick ein harter Schlag, härter als der beim Polizeipräfekten, ich weiß übrigens nicht warum, vielleicht, weil es am Quai geschah. Aber jetzt habe ich die Hände frei, und das ist eher eine Erleichterung.«
»Hast du keine Angst?«
»Ich riskiere nur einen Verweis, und das Schlimmste wäre meine vorzeitige Pensionierung.«
»Das meine ich nicht. Die Leute, denen du die Maske vom Gesicht reißen willst…«
»Sie können in dem, was mich betrifft, nichts mehr tun, ohne mir recht zu geben. Der Chef hat heute vormittag ein Wort zuviel gesagt. Er hat mir gesagt:
›Ihre Zähne sind völlig gesund…‹
Ohne das hätte ich annehmen müssen, er habe seine Informationen von den Männern, die damit beauftragt sind, mich zu beschatten. Sie haben aber nicht in meinen Mund geschaut. Selbst Ajoupa, unser Zahnarzt, könnte nicht versichern, daß ich heute morgen gesunde Zähne hatte, denn er hat mich seit mehr als einem Jahr nicht gesehen.
Das bedeutet, daß Dr. Mélan, gleich nachdem ich gegangen war, telefoniert hat, zweifellos mit Nicole Prieur. Sie hat sich wieder einmal bei ihrem Onkel beschwert. Derselbe Zirkus wie gestern vormittag: Innenminister, Polizeipräfekt und schließlich Leiter der Kriminalpolizei. Wenn man die Dinge unbeteiligt betrachtet, ist es ganz amüsant.«
»Was wirst du jetzt mit deiner Zeit anfangen?«
»Weitermachen.«
»Allein?«
»Man ist niemals ganz allein. Um gleich anzufangen, werde ich jetzt den braven Pardon anrufen. Er ist gewiß schon von seinen Hausbesuchen zurück.«
Kurz darauf sagte Dr. Pardon:
»Ich bin gerade nach Hause gekommen und habe mich zu Tisch gesetzt.«
»Hören Sie, Pardon, ich brauche Sie wieder einmal.«
Schon öfter hatte er Pardon um eine medizinische Auskunft oder um eine Information über einen seiner Kollegen gebeten.
Auch wenn sie sich nicht persönlich kennen, ist es für Ärzte ziemlich leicht, sich über einen Kollegen zu erkundigen. Sie haben immer einen Freund, der mit dem oder dem zusammen studiert hat, einen Professor, einen ehemaligen Assistenzarzt an einem Krankenhaus…
Es ist ein verhältnismäßig geschlossener Kreis, und außerdem trifft man sich auf Kongressen.
»Diesmal handelt es sich um einen Zahnarzt oder vielmehr, wie auf dem Messingschild steht, um einen Kieferspezialisten…«
»Ich selber kenne nicht viele…«
»Er heißt Francois Mélan, ist achtunddreißig Jahre alt, wohnt in einer Villa in der Rue des Acacias, in der er auch seine Praxis hat.«
Es gab ein Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Kennen Sie ihn?«
»Nein. Ich habe nachgerechnet… Achtunddreißig, das ist schon eine andere Generation. Ich werde wahrscheinlich jemanden unter den Professoren finden, der ihn kennt.«
»Könnte das schnell gehen?«
»Wenn ich Glück habe. Ich werde ein paar anrufen. Vielleicht ist es schon der erste, vielleicht aber auch erst der letzte. Ist die Angelegenheit wichtig?«
»Sehr. Für mich persönlich. Haben Sie schon etwas für heute abend vor?«
Er hörte, wie Pardon seine Frau fragte:
»Hast du etwas für heute abend vor?«
Er hörte sogar sie im Hintergrund antworten:
»Du hattest davon gesprochen, mit mir ins Kino zu gehen.«
»Nein«, sagte Pardon ins Telefon.
»Und wie ist es mit dem Kino?«
»Haben Sie’s gehört? Ich mache mir nicht viel aus Filmen.«
»Wollen Sie zum Abendessen zu uns kommen? Oder alle drei, wenn Ihre Tochter noch bei Ihnen ist?«
»Nein, sie ist wieder bei sich zu Hause.«
»Also bis heute abend?«
»Bis heute abend. Wenn ich die Auskunft früher erhalte, soll ich Sie dann in Ihrem Büro anrufen?«
»Ich habe kein Büro mehr.«
»Was sagen Sie da? Ist das ein Scherz?«
»Bis auf weiteres bin ich wieder ein schlichter Bürger ohne Privilegien und Verantwortung.«
Es war ein Wochentag, der für Maigret jedoch wie ein Sonntag verlief.
Nach dem Mittagessen schlief er in seinem Sessel ein, ohne es zu merken, und als er die Augen aufschlug, sah er zu seiner Überraschung, daß es schon halb vier war.
»Ich habe wirklich geschlafen«, stellte er mit pappiger Stimme fest.
»Du hast sogar geschnarcht. Möchtest du einen Kaffee trinken?«
»Ja, gern.«
Er
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