Maigret verteidigt sich
vages Lächeln auf den Lippen.
Zweites Kapitel
Maigret hatte den Fahrstuhl verschmäht. Er befand sich auf der dritten oder vierten Stufe der weißen Marmortreppe, als die Tür sich wieder öffnete. Es war der einarmige Bürodiener, der nicht jeden Morgen Tennis spielen konnte.
»Der Herr Präfekt bittet Sie, noch einmal einen Augenblick zu ihm zu kommen, Herr Kommissar.«
Er stand dort einen Moment, zögerte, wußte nicht recht, ob er die wenigen Stufen wieder hinaufgehen oder die Treppe weiter hinuntersteigen sollte. Schließlich ging er noch einmal durch das Vorzimmer, und der Polizeipräfekt öffnete ihm selber seine Tür.
»Ich habe vergessen, Sie darauf hinzuweisen, daß ich nicht wünsche, daß über diese Affäre am Quai des Orfevres gesprochen wird. Und ich werde Sie persönlich für das kleinste Echo in der Presse verantwortlich machen.«
Da der Kommissar sich nicht rührte, verabschiedete er sich mit den Worten:
»Ich danke Ihnen.«
»Ich Ihnen auch, Herr Präfekt.«
Hatte er es gesagt? Hatte er es nicht gesagt? Er wußte es nicht mehr. Er sah den Bürodiener wieder, dem er zuwinkte, und stieg diesmal die Marmortreppe ganz hinunter. Draußen war er überrascht, die Sonne, die Wärme, dahineilende Männer und Frauen, den Strom der Wagen, die Farben und die Gerüche des täglichen Lebens wiederzufinden.
Er spürte einen Krampf in der Brust. Wie ein Herzkranker legte er unwillkürlich die Hand darauf, wobei er einen Augenblick im Gehen innehielt.
Pardon hatte ihm versichert, es sei nichts weiter als Luftschlucken. Dennoch waren diese Anfälle beklemmend, besonders, wenn sie von Schwindel begleitet waren. Die Dinge und die Passanten wurden undeutlich, wie auf einem verwackelten Foto. An der Ecke des Boulevards stieß er die Tür einer Bar auf, deren Fenster zum Teil auf den Quai gingen. Seit Jahren trank er hier im Vorübergehen etwas.
»Ein Bier, Herr Kommissar?«
Er konnte nur schwer atmen. Seine Stirn war schweißnaß, und er betrachtete sich angstvoll in dem Spiegel im Regal zwischen den aufgereihten Flaschen.
»Einen Cognac.«
Er war nicht mehr rot, sondern blaß, und sein Blick war starr.
»Einen kleinen oder einen großen?«
»Einen großen«, sagte er ironisch.
Wieder Pardons wegen. Es war seltsam, wie jenes Gespräch mit seinem Freund, das äußerlich so banal gewesen war, Bedeutung bekam. Der Arzt hatte ihm geraten, weniger zu trinken. Er selber, der zu Hause Zigarren rauchte, konnte sich draußen nicht schnell genug eine Zigarette anstecken.
»Sind Sie in Ihrer Laufbahn…?«
Dem gemeinen Verbrecher begegnet, der Bosheit um der Bosheit willen begeht? Er lächelte nicht einmal mehr ironisch.
»Noch einen, Francois…«
Die Uhr zeigte zwanzig vor zwölf. Alles hatte sich in weniger als einer halben Stunde abgespielt, einer halben Stunde, die gleichsam einen Riß in seinem Leben bildete. Von jetzt an gab es die Vergangenheit und die Gegenwart. Das Vorher und das Nachher. Nachher?
Die Bilder blieben verschwommen. Und wenn er hier auf die Fliesen des Lokals fallen würde, unter die Leute, die ihren Aperitif tranken, ohne auf ihn zu achten?
Aber Maigret! Keine Sentimentalität! Keine Kindereien! Wie viele Männer, die er in seinem Büro verhörte, hatten ihr Herz zu heftig schlagen gehört oder das Gefühl gehabt, daß es aufhöre zu schlagen. Auch ihnen hatte er ein Glas Cognac gereicht, von dem er immer eine Flasche in seinem Wandschrank hatte.
»Was schulde ich Ihnen?«
Er zahlte. Ihm war heiß. Aber es war wirklich sehr heiß. Auch die anderen wischten sich von Zeit zu Zeit ihre Stirn mit einem Taschentuch ab. Warum blickte ihn Francois so an, als hätte er sich plötzlich verändert?
Er schwankte nicht. Er war nicht betrunken. Man wird von zwei Glas Cognac nicht betrunken. Selbst von doppelten nicht. Er wartete brav auf das grüne Licht, ehe er die Straße überquerte und zu der berühmten Nummer 38 am Quai des Orfevres ging. Er war auf diese Rotznase von Polizeipräfekten nicht mehr wütend, dem er noch vor kurzem am liebsten mit der Faust ins Gesicht geschlagen hätte. Der Polizeipräfekt war in dieser Affäre nur eine Nebenfigur.
Er liebte die Polizeibeamten der alten Schule nicht. Maigret war der letzte unter den Kommissaren, die noch aus dieser Zeit stammten. Nacheinander waren die anderen pensioniert worden, und er hatte sich an jüngere Gesichter, an eine andere Berufsauffassung gewöhnen müssen.
Von den Alten war am Quai eigentlich nur noch
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