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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Sie in Ihrem Büro einen Schuldigen oder einen mutmaßlichen Schuldigen vor sich haben, sind Sie dann in der Lage, das Maß der Verantwortlichkeit, das man ihm zuschreiben kann, zu bestimmen?«
    »Kaum. Das tun hinterher die Psychiater...«
    »Meine Bibliothek steht voll von psychiatrischen Werken. Die von der alten Schule antworteten meistens: Verantwortlich , und gingen mit ruhigem Gewissen heim. Aber lesen Sie noch einmal Henri Ey, zum Beispiel!«
    »Ich weiß.«
    »Sprechen Sie englisch?«
    »Sehr schlecht.«
    »Wissen Sie, was man unter einem Hobby versteht?«
    »Ja. Einen Zeitvertreib. Eine unbezahlte Tätigkeit. Eine Manie...«
    »Nun gut, mein lieber Monsieur Maigret. Mein Hobby, meine Manie, wie manche sagen, ist der Artikel 64. Und da bin ich nicht der einzige. Diesen berühmten Artikel finden Sie nicht nur im französischen Gesetz. In einer mehr oder weniger identischen Formulierung findet man ihn in den Vereinigten Staaten, in England, in Deutschland, in Italien...«
    Er geriet in Erregung. Sein vorhin noch eher blasses Gesicht bekam einen rosa Teint, und seine kleinen rundlichen Hände fuhren mit unerwarteter Energie durch die Luft.
    »Wir sind Tausende, was sage ich, Zehntausende auf der Welt, die es zu unserer Aufgabe gemacht haben, diesen schändlichen Artikel 64, ein Überbleibsel aus alten Zeiten, zu ändern. Wir sind kein Geheimklub! In den meisten Ländern gibt es offizielle Vereinigungen, es gibt Magazine und Zeitschriften... Wissen Sie, was man uns antwortet?«
    Und wie um dieses man zu personifizieren, warf er einen Blick auf das Porträt seines Schwiegervaters.
    »Man sagt uns:
    >Das Strafgesetzbuch ist ein Ganzes. Wenn Sie einen Stein herausnehmen, droht das ganze Gebilde zusammenzubrechen ...<
    Man wirft uns auch vor:
    >Wenn man auf Sie hört, so wird es bald der Arzt und nicht mehr der Richter sein, dem man die Aufgabe des Richtens überlässt...<
    Ich könnte Ihnen stundenlang davon erzählen. Ich habe zahlreiche Artikel zu diesem Thema geschrieben, und ich werde mir erlauben, Ihnen durch meine Sekretärin einige schicken zu lassen, was vielleicht vermessen scheint, aber... Sie kennen die Kriminellen, Sie kennen sie aus erster Hand, wenn ich so sagen darf. Für die Richter sind sie Wesen, die quasi automatisch unter diese oder jene Rubrik fallen. Verstehen Sie?«
    »Ja.«
    »Auf Ihr Wohl!«
    Er atmete tief, schien selbst überrascht, dass er sich so ereifert hatte.
    »Es gibt wenig Leute, mit denen ich so offen reden kann. Ich habe Sie nicht schockiert?«
    »Überhaupt nicht.«
    »Übrigens habe ich Sie noch gar nicht gefragt, warum Sie mich zu sprechen wünschten. Ich habe mich über Ihren Besuch so gefreut, dass mir die Frage gar nicht in den Sinn kam.«
    Und mit einem Augenzwinkern:
    »Ich hoffe, es handelt sich nicht um Seerecht?«
    Maigret hatte den Brief aus der Tasche gezogen.
    »Heute Morgen bekam ich mit der Post diesen Brief. Er ist nicht unterzeichnet. Ich bin mir keineswegs sicher, ob er von Ihnen stammt. Ich möchte Sie nur bitten, ihn anzusehen...«
    Merkwürdigerweise begann der Anwalt das Papier zu befühlen, als wäre er vorwiegend auf seinen Tastsinn angewiesen.
    »Könnte mein Papier sein... Es ist nicht leicht zu kriegen. Letztes Mal musste ich es durch meine Druckerei vom Hersteller besorgen lassen.«
    »Genau das hat mich zu Ihnen geführt.«
    Parendon hatte eine andere Brille aufgesetzt, seine kurzen Beine übereinandergeschlagen und las den Brief, wobei er die Lippen bewegte und ab und zu einzelne Silben murmelte.
    Ein Mord wird demnächst begangen werden ... Vielleicht von jemandem, den ich kenne, vielleicht von mir selbst ...
    Er ging den Abschnitt noch einmal aufmerksam durch.
    »Man könnte sagen, dass jedes Wort sorgfältig gewählt wurde, nicht wahr?«
    »Diesen Eindruck habe ich auch.«
    Das Drama ist sozusagen unabwendbar...
    »Dieser Satz gefällt mir weniger, er klingt irgendwie übertrieben.«
    Er gab Maigret den Brief zurück und wechselte wieder die Brille.
    »Merkwürdig.«
    Er war kein Mann von großen Worten, emphatischen Reden. Merkwürdig. Das war sein ganzer Kommentar.
    »Ein Detail hat mich überrascht«, erklärte Maigret. »Der Schreiber dieses Briefes redet mich nicht mit Herr Kommissar an, wie es die meisten tun, sondern mit meiner offiziellen Dienstbezeichnung: Herr Kreiskommissar.«
    »Das ist mir auch aufgefallen. Haben Sie die Annonce aufgegeben?«
    »Sie erscheint heute Abend im Monde und morgen früh im Figaro.«
    Das sonderbarste war,

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