Maigret zögert
lächelte.
»... mich um unseren Artikel 64 zu kümmern, Monsieur Maigret. Eines Tages werden Sie mir sagen müssen, wie Sie darüber denken. Aber zunächst will ich alle hier davon unterrichten, dass Sie sich ganz nach Ihrem Belieben in der Wohnung bewegen können und dass sie Ihre Fragen mit aller Offenheit zu beantworten haben.«
Maigret sah ihn verwirrt an und fragte sich, ob er einen raffinierten Schauspieler oder aber einen armen Kerl vor sich hatte, der sich mit einem subtilen Humor zu trösten versuchte.
»Ich werde voraussichtlich morgen Vormittag wieder vorbeischauen, möchte Sie dann aber nicht weiter stören.«
»In diesem Fall werde wahrscheinlich ich es sein, der Sie stört.«
Sie drückten sich die Hände, und es war fast eine Kinderhand, die der Kommissar in der seinen hielt.
»Danke, dass Sie mich empfangen haben, Monsieur Parendon.«
»Vielen Dank für Ihren Besuch, Monsieur Maigret.«
Trippelnd begleitete ihn der Anwalt zum Fahrstuhl.
2
Er trat hinaus in die Sonne und in die frische Luft der ersten schönen Tage, in die sich schon ein leichter Staubgeschmack mischte. Die »Schutzengel« des Elysee-Palasts absolvierten mit gelassener Miene ihre Wache und nickten ihm diskret zu.
An der Ecke des Rond-Point stand eine alte Frau und verkaufte Flieder, der nach den Gärten der Vorstädte roch, und er konnte nur schwer der Versuchung widerstehen, einen Strauß zu kaufen. Doch wohin mit den großen Blütenzweigen am Quai?
Er fühlte sich beschwingt, auf eine ganz besondere Art leicht. Er war aus einer unbekannten Welt getreten, in der er sich weniger fremd vorgekommen war, als er gedacht hätte. Während er im Gedränge anderer Passanten durch die Straßen schritt, sah er die feierliche Wohnung wieder vor sich, über der der Schatten des großen Richters hing, der dort gewiss zu steifen Empfängen geladen hatte.
Gleich zu Beginn, als wollte er ihm über seine Verlegenheit hinweghelfen, hatte Parendon ihn mit einem verschmitzten Blick angesehen, der bedeuten sollte:
Lassen Sie sich nicht täuschen. Das alles ist nur Staffage. Selbst das Seerecht ist nur ein Spiel, ist nur Schein.
Und wie ein Spielzeug hatte er auch seinen Artikel 64 herausgeholt, der ihn mehr als alles andere auf der Welt interessierte. Oder war Parendon am Ende doch ein gerissener Schlaukopf? Jedenfalls fühlte sich Maigret zu diesem quirligen Gnom hingezogen, der ihn mit den Augen verschlang, als hätte er noch nie einen Kriminalkommissar gesehen.
Er genoss das schöne Wetter und ging zu Fuß die Champs-Elysees bis zur Concorde hinunter, wo er in einen Autobus stieg. Da es ein Bus ohne Plattform war, musste er vor dem Einsteigen erst seine Pfeife ausklopfen.
Im Büro angekommen, war es an der Zeit, die Post zu unterschreiben, und er brauchte etwa zwanzig Minuten, um alles zu erledigen. Seine Frau wunderte sich, als er mit fröhlichem Gesicht schon um sechs Uhr durch die Tür trat.
»Was gibt es zum Abendessen?«
»Ich wollte gerade...«
»Gar nichts. Wir essen in der Stadt.«
Ganz egal wo, aber auswärts. Dies war kein Tag wie jeder andere, und er wollte, dass er bis zum Schluss außergewöhnlich blieb.
Die Tage wurden schon länger. Im Quartier Latin fanden sie ein Restaurant mit verglaster Terrasse, wo ein kleiner Ofen eine angenehme Wärme verbreitete. Die Spezialität des Lokals waren Meeresfrüchte, und Maigret ging fast die ganze Palette durch, einschließlich der Seeigel, die am selben Tag aus dem Süden eingeflogen worden waren.
Sie lächelte ihm zu.
»Du scheinst einen guten Tag gehabt zu haben.«
»Ich habe einen komischen Typ kennengelernt. Auch ein komisches Haus und komische Leute.«
»Ein Verbrechen?« »Ich weiß nicht... Es ist noch nicht begangen worden, aber es kann jeden Tag passieren. Und dann werde ich in einer verzwickten Lage sein.«
Er erzählte ihr selten von den Fällen, die ihn gerade beschäftigten, und gewöhnlich erfuhr sie darüber mehr durch die Zeitungen oder durch das Radio als durch ihren Mann. Diesmal aber drängte es ihn, ihr den Brief zu zeigen.
»Lies.«
Sie waren beim Nachtisch angelangt. Zu dem gegrillten Fisch hatten sie einen herben Pouilly getrunken, dessen Duft sie noch immer umschwebte. Mit einem überraschten Blick gab Madame Maigret ihm das Schreiben zurück.
»Ein Jungenstreich?« fragte sie.
»Es gibt wohl einen Jungen im Haus. Ich habe ihn noch nicht gesehen. Aber es gibt ja auch alte Lausejungen oder Lausemädchen reiferen Alters.«
»Glaubst du, was da
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