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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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das alles strahlte eine unendliche Ruhe aus, die nur durch die Schritte einiger Besucher gestört wurde. Ich hingegen war unruhig. Wo konnte ich Unterschlupf finden, wo mich verstecken für die Nacht? Die Kirche würde um 17 Uhr geschlossen, das stand am Eingang und das war in 15 Minuten. Zeit genug, um mich umzusehen, allerdings knapp bemessen, um ein gutes Versteck zu finden. Die Tür zur Orgelempore war abgeschlossen, das hatte ich schnell festgestellt, und die Treppe zur Kanzel war sehr breit, sodass man von hinten in den Predigtstuhl sehen konnte. Was nun?
    Nirgendwo in dieser Kirche gab es eine wirklich dunkle Nische, in der man nicht gesehen würde. Demnach blieb mir als letzte Möglichkeit nur der braungrüne hölzerne Beichtstuhl links neben dem Haupteingang.
    Ich sah mich vorsichtig um, fasste mit der linken Hand den eisernen Griff der schmalen Holztür des Beichtstuhles, öffnete sie schnell, duckte mich, huschte hinein und zog die Tür von innen wieder zu. Zunächst sah ich wegen der plötzlichen Dunkelheit kaum etwas, nach und nach gewöhnten sich meine Augen an das fahle Licht, welches durch die undurchsichtigen bräunlichen Scheiben an der Tür einfiel. Ich merkte, wie Oskar an meiner Brust zitterte, doch er gab keinen Laut von sich, so als ob er wüsste, dass er mich jetzt auf keinen Fall verraten durfte.
    Geschafft, dachte ich erleichtert, doch plötzlich schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass der Küster sicher die Kirche noch kontrollieren würde. Sofort machte ich mich ganz schmal, kauerte auf der Holzbank des Beichtstuhles und wagte es kaum zu atmen. Wie eine Ewigkeit kam mir das Warten vor. Endlich quietschte das Hauptportal, ich hörte die hölzernen Flügel des Windfanges schlagen, kurz darauf kräftige Schritte, die näher kamen, stehen blieben, an meinem Beichtstuhl vorbeigingen, dann wieder stehen blieben. Die Tür zum Kreuzgang wurde abgeschlossen, es folgte Stille. Nach einiger Zeit ertönten wieder die Schritte, vorbei an meinem Beichtstuhl, hinaus durch den Windfang, Quietschen des Hauptportals, Einrasten des Schlosses, Drehen des Schlüssels, dann Schritte, die sich außen leise entfernten. Schließlich Ruhe, gespenstische Stille, Nichts. Jetzt war ich mit Oskar ganz allein in dieser Kirche, die mich eingeladen hatte und die mir Schutz bot vor Wind und Wetter, so wie es sich für eine Kirche gehörte. Langsam setzte ich die Füße wieder auf den Boden, schob die Tür des Beichtstuhles auf und schlüpfte mit Oskar hinaus. Ich holte ihn unter dem Mantel hervor und setzte ihn vorsichtig auf den Kirchenboden. Neugierig sah er sich um.
    Es wurde bereits dunkel, dennoch konnte ich die Schönheit der Kirche gut erkennen. Ich ging leise, sah mir die Figuren des steinernen Altars an und blieb vor einem Bild am Ende des rechten Seitenschiffes stehen. ›Beweinung Christi von Matthias Grünewald‹, las ich auf dem Messingtäfelchen. Beleuchtung 50 Cent, stand über dem Schlitz, in den man seine Münzen einwerfen konnte. Doch wer wusste schon, wie hell und wie lange das Licht leuchten würde und wer es womöglich von draußen sehen konnte? Nein, lieber nicht, dachte ich.
    Ich ging weiter durch die Kirche und Oskar folgte mir auf Schritt und Tritt. Ich sah mir die verschiedenen Altäre und Statuen an, dabei konnte ich vorerst gar nicht alles erfassen, was diese Basilika an Schätzen barg. So viele Namen waren hier in Stein gemeißelt, meist Fürsten und Bischöfe, sodass ich mir als Namenloser in meinem zerknautschten Regenmantel ganz klein vorkam. Endlich setzte ich mich auf die Bank direkt unter dem Kruzifix an der Seitenwand des Mittelschiffes. Gütig sah der Herr auf mich herab. Es schien ihn nicht zu stören, als ich meine Brezeln auspackte. Auch vom leisen Zischen beim Öffnen meiner Coladose nahm er keine Notiz. ›Lass dir’s schmecken, mein Freund‹, hätte er sagen können, aber Christus sagte nichts. Ungerührt hing er da, den Kopf zur Seite geneigt, als ob er von allem wenig wissen wollte.
    »So sag mir wenigstens, wer ich bin«, flehte ich ihn an. Doch das schien ihn nicht zu interessieren.
    ›Namen sind Schall und Rauch‹, meinte ich zu hören, obwohl ich mir nicht sicher war, ob diese Stimme vom Herrn oder aus meinem Inneren gekommen war.
    Ich gab Oskar etwas Hundefutter zu fressen, rollte mich in meinem Regenmantel auf der Bank zusammen, legte den Dackel neben mich und musste bald darauf eingeschlafen sein.
     
    Als ich gegen Morgen wieder aufwachte, taten mir sämtliche

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