Maison Aglaia
erstaunlicherweise nach einer Fahrt mit dem Meisel Sepp geweigert hatte, noch einmal in seinem VW-Golf mitzufahren. „Ich muss wieder selbst ans Steuer!“
So gondelte das ungleiche Paar ständig herum und bot Stoff für allerlei Vermutungen, während sich Beatrice auf den Markt des Dorfes zurückgeworfen sah, weil ihr für größere Einkäufe im nächsten Supermarché das notwendige Transportmittel fehlte. Als zurückhaltender Hamburgerin fiel es ihr schwer, mit den Händlern resolut zu feilschen, was diese weidlich ausnutzten.
Einer immer schwarz gekleideten Frau mittleren Alters, der sie früher einmal auf dem Markt geholfen hatte, eine umgefallen Tüte mit Äpfeln wieder einzusammeln, tat sie offenbar leid. Eines Tages griff Jeanne, so hieß die stämmige, aber nicht unansehnliche, ansonsten eher wortkarge Witwe, energisch in Beatrices Leben ein. Sie fauchte einen Händler an, er solle ihre nette Nachbarin nicht so schamlos übers Ohr hauen. Zwischen Beatrice und Jeanne hatte sich nach diesem Zwischenfall, der in ein kurzes Schwätzchen gemündet hatte, eine auf wenige Worte gegründete Zuneigung entwickelt.
Von Dr. Brandin, dem Arzt des Ortes, erfuhren sie, dass Jeanne, nach dem Unfalltod ihres Mannes vor fünf Jahren, von einer kleinen Rente leben musste, die sie gelegentlich durch Aushilfe in der Restaurantküche aufbesserte. Ihre einzige Tochter war Krankenschwester in Marseille und besuchte die Mutter nur selten. Dr. Brandin erklärte ihnen, dass Jeanne eigentlich eine begnadete Köchin wäre, und meinte augenzwinkernd: „Ein Restaurant mit Jeanne als Chef, ohlala, das wäre wirklich eine bonne ideé!“
Diese bonne idée ließ Peter und Beatrice bald nicht mehr los und so reifte in ihnen ein Entschluss, den sie nie bereuen würden. Sie vereinbarten mit Jeanne, bei ihnen als Köchin und Mädchen für alles zu arbeiten, anfangs halbtags, später dann ganztags. Jeanne war anfangs etwas überrascht und zierte sich, aber als ihr Dr. Brandin, die graue Eminenz des Ortes, zuriet und Aglaia sie mit ihren blauen Kulleraugen anstrahlte, war sie schließlich besiegt und schlug ein. Obwohl eher schweigsam und manchmal finster drein blickend, wurde die resolute Jeanne sofort der gute Geist des Hauses.
Als Jeanne ihren Dienst bei Ihnen antrat, verließen uns gleichzeitig drei unserer Gäste: Dr. Fern und das Ehepaar Leißensee. Wir nahmen an, dass wir sie wohl nie wieder sehen würden, aber das war ein Irrtum. Gertrud Fern war sowohl von den Ausflügen als auch von der rustikalen Unterbringung angetan: „Diese etwas unkonventionelle Mischung aus lockerer familiärer Atmosphäre und kulturellem Anspruch, das ziehe ich gerne jedem unpersönlichen Vier-Sterne-Hotel vor.“
Beatrice sah Peter an: „Na, wenn das kein Ritterschlag war!“
Die Leißensees wollten ebenfalls eines Tages wiederkommen. Wir hatten sie für ein verliebtes und frisch verheiratetes berufstätiges Paar gehalten, wurden jedoch beim Abschied eines besseren belehrt: „Einmal im Jahr machen wir Urlaub von unseren vier Kindern! Das sind jedesmal wieder neue Flitterwochen für uns.“ Der älteste Sohn der Leißensees zählte immerhin schon achtzehn Jahre, und immer noch waren sie verliebt.
„ Nimm Dir ein Beispiel!“ pflaumte Peter Beatrice an, doch sie sah ihn nur verächtlich von oben bis unten an und entgegnete spitz: “Nimm Dir lieber selber ein Beispiel! Herr Leißensee ist in jeder Beziehung recht flott ...“
Kaum waren sie abgereist kamen, schon ihre neuen Gäste an, Professor Gotthold von Geusenstamm und seine Frau Veronika. Der etwa 40jährige Chirurg war sehr still, und in Aussehen und Auftreten am Besten mit dem Wort farblos charakterisiert, während seine Frau vor Temperament sprühte und keine Minute still sitzen konnte.
Jeden Tag gegen halb sechs gab es zur Happy Hour einen Drink auf Kosten des Hauses, um die neuen und alten Gäste bekannt zu machen zu einem lockeren Gespräch zusammenzuführen. Das hatte sich sehr bewährt, weil so auch schüchternere Zeitgenossen schneller auftauten.
Gleich am ersten Tag wurden die beiden Neuankömmlinge in ein seit ein paar Tagen stattfindendes seltsames Ritual der Müllers miteinbezogen.
Seit ihrer Ankunft gingen die Müllers jeden Tag spazieren und Norbert Müller, der Hobby-Archäologe fand dabei immer etwas, das Peter und Beatrice dann zu begutachten hatten.
Diese Veranstaltung nannten sie mittlerweile „Müllers Mauerbau“. Norbert Müller brachte nämlich von jeder Wanderung
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