Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
ich und sehe die Preise.
„ Was? Ich will den scheiß Zug doch nicht kaufen!“
Ich zerknülle den Prospekt, werfe ihn auf den Boden und trampel drauf herum, bis er ganz platt ist. Dabei fluche ich, weil ich echt sauer bin. Brülle mir den Ärger der vergangenen Tage aus den Knochen. Ich meine, genug ist genug!
„ Nori“, raunt Josch, dem die Aufmerksamkeit, die ich errege, unangenehm ist. „Mach dich locker!“
Ich vergesse, dass Josch nicht weiß, was wirklich auf dem Spiel steht, als ich ihn anbrülle.
„ Wie soll die Scheiße mir denn helfen!“
Eigentlich brülle ich gar nicht ihn an, sondern meine Eltern, meine Lehrer, Bettina, Herrn Berlucci, die alte Frau Janssen. Und mich selbst. Aber Josch steht halt gerade da. Und dann kommen auch noch meine Kumpel Jörg, Martin und Klaus. Besonders Klaus steht die Freude ins Gesicht geschrieben, dass er ein neues Opfer gefunden hat. Josch duckt sich unmerklich, als die Jungs einen Halbkreis um ihn bilden. Jörg hebt den Prospekt auf.
„ London? Macht ihr da eure Hochzeitsreise hin, oder was?“, stichelt er und wirft es Josch vor die Stirn. Der dreht sich erschrocken weg, zieht schützend die Arme an den Körper. Martin und Klaus grinsen, und schubsen ihn hin und her wie eine Flipperkugel. Und was mache ich? Nichts. Ich drehe mich um und gehe weg.
Zwei Stunden Deutsch bei Frau Maler. Wir lesen
Tonio Kröger
. Wie alle anderen bin auch ich nicht ganz bei der Sache, aber ich habe wenigstens meine Gründe.
In der Pause kann ich Josch nicht finden. Nicht dass ich ihn suche, aber er sitzt nicht an seinem üblichen Platz. Bettina läuft in mein Blickfeld, kommt auf mich zu.
Auch das noch!
Sie lächelt wie eine Schlange. Ich springe auf und laufe zügig, aber ohne Hast, in Richtung Jungsklo.
„ Schon wieder?“, ruft Jörg mir hinterher.
Ich bleibe dort bis zum Ende der Pause, gehe erst lange nach dem Klingeln in die Klasse. Die Jungs tuscheln und machen Furzgeräusche in ihren Armbeugen. Ich spüre, dass Bettina meinen Blick sucht, als ich mich setze und Herr Dongel seinen unerträglich lahmen Physikunterricht abspult. Ich ignoriere sie, so gut ich kann, heuchle Interesse am Unterschied zwischen Gleich- und Wechselstrom, und meine Stimmung wird noch trüber.
Am Ende der Stunde raffe ich eilig mein Zeug zusammen und bin als Erster draußen. Ich bleibe versteckt, bis der Lärm meiner Mitschüler sich entfernt hat. Als ich durch das Haupttor vom leeren Schulhof auf die Straße trete, sind sie wieder da. Timm Becker und seine Schergen. Sie lauern um die Ecke an der Turnhalle auf mich. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, trifft mich eine Faust im Gesicht und ich falle um wie ein Sack Bohnen. Noch hat der Schmerz nicht eingesetzt, und wie ich da so liege, kann ich nur daran denken, dass es gerade ein ganz anderes Geräusch gemacht hat, als die Faustschläge im Kino. Alles Betrug. Und dann bearbeiten die Jungs meinen Oberkörper mit Fußtritten. Nicht ins Gesicht – so ist’s recht! Von der anderen Straßenseite brüllt jemand aus dem Fenster, dass er gleich die Polizei ruft, wenn nicht sofort Schluss ist. Ein Hoch der sozialen Kontrolle. Die Jungs lassen von mir ab. Timm beugt sich noch zu mir runter, fasst mich im Nacken.
„ Bis morgen dann, Nori.“
Er zieht seine Hand weg, und mein Hinterkopf knallt auf den Asphalt. Dann setzt der Schmerz ein. Ich bleibe eine Weile in embryonaler Haltung liegen, ringe nach Luft, und taste ängstlich meine Rippen ab. Doch der Schmerz war noch nicht das Schlimmste. Den jetzt kommt die Scham. Ich komme schwerfällig auf die Beine. Nach Hause will ich nicht. Nicht so. Auf halbem Weg zum Sportplatz, dicht bei den Lehrerparkplätzen, steht eine große Fichte auf einer kleinen Wiese. Dahin schleppe ich mich, steige durch das dichte Geäst, setze mich an den harzigen Baumstamm und ergebe mich meinen unaussprechlichen Rachefantasien. Dann denke ich an Papa.
„ Was für ein Typ sind Sie als Erwachsener?“, fragt Braun. „Schlagen Sie sich? Sind Sie gewalttätig?“
„ Haben Sie nicht zugehört?“, empört sich Nori. „Ich wurde verprügelt!“
„ Das ist mir nicht entgangen“, beschwichtigt Braun. „Aber was für ein Mann wird aus Nori Greth. Oder wurde? Sie verstehen schon.“
„ Was für ein Mann“, wiederholt Nori andächtig. „Was gibt es da zu erzählen. Ich lebe in einem Appartment in der City. Nichts Besonderes. Bin ganz normaler Durchschnitt. Außer vielleicht mein Faible für alte Möbel.“ Er
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