Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
für frische Blumen, die er so liebt.
Es regnet bei seiner Beisetzung. Ich bin allein, Paul stützt Mama. Es ist meine Tante, die sich ein Herz nimmt, und dann meine Hand. Ich weine nicht. Der Pastor predigt von einem erfüllten Leben und der Gnade Gottes. Viele Menschen, die hier sind, habe ich noch nie gesehen. Sie klopfen mir auf die Schulter, streicheln mir über den Kopf und sagen, dass ich tapfer sein muss. Muss ich das? Ihre Hände sind rau wie Schmirgelpapier von schwerer Arbeit.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Papa wirklich in einer Holzkiste in der feuchten Erde versenkt wird. Auf dem Boden des Grabes hat sich ein kleiner See gebildet. Er wird doch frieren.
Jeder Trauergast wirft eine Nelke auf den Sarg. Papas Lieblingsblumen. Ich wusste nicht, dass er eine Lieblingsblume hat.
Etwas lenkt mich ab. In den nahen Bäumen tollt ein Eichhörnchen herum. Ein Versprechen von Leben.
Auch jetzt rauschen die Bäume. Wind kommt auf. Ich erschrecke. Mir ist, als hätte ich eine Bewegung wahrgenommen. Dort drüben, zwischen den Kindergräbern. Das Grablicht flackert. Seichter Regen setzt ein. Ich laufe schnell nach Hause. Der Regen verwässert meine Tränen.
Mittwoch, 10. Juli 1985
Die Zeit rennt mir davon. Wir sitzen in einer Reihe auf der Tischtennisplatte und ich halte Ausschau nach Josch. Klaus und Martin wollen wissen, wo ich gestern Nachmittag hingegangen bin. Ein paar Fünftklässler nähern sich uns. Einer fragt, ob sie Tischtennis spielen dürfen. Klaus springt auf und jagt sie davon. Kreuz und quer über den Schulhof, mit lautem Gebrüll. Bettina trägt heute ein kurzes Jäckchen mit Schulterpolstern, dazu einen hellen Hut mit schwarzer Krempe. Der Pony schaut heraus, wild nach oben toupiert. Martin stößt mir den Ellbogen in die Seite. „Bettina hat Claudia erzählt, dass sie deinen Tanz im Zoo voll scheiße fand. Sie meint, du machst jetzt auf cool.“
„ Aha“, sage ich.
Was ist los!?
„ Sie will dich verarschen. Pass auf, Nori. Auf der Fete wird sie sich nur über dich lustig machen, wenn du wieder so abgehst. Aber – pst! Bleibt unter uns, ja?“
„ Klaro, Mann!“
Martin labert weiter, aber ich bin abgelenkt. War da nicht ein Rascheln? Ich schaue verstohlen über meine Schulter. Ein schwarzer Schatten huscht durch das Gebüsch und quer über meine Seele. Schweiß tritt mir auf die Stirn. Warum hält Martin nicht endlich die Klappe? Ich räusper mich, um verstohlen nach Luft zu schnappen, ohne dass er was mitkriegt. Die Bestie ist ganz nah. Sie hockt unter der Tischtennisplatte, das spüre ich. Ihre Tentakel zucken an meinen Beinen hoch. Ich muss weg! Martin stockt mitten im Satz, als ich aufspringe.
„ Was geht ab?“, ruft er mir hinterher.
Ich renne zur Pausenhalle, wo die Toiletten sind. Der Gestank von abgestandenem Urin schlägt mir entgegen, als ich die Tür aufreiße. Jemand stellt sich mir in den Weg.
„ Jacko!“, freut Jörg sich.
Ich lächele gequält und versuche, mich an ihm vorbei zu drücken.
„ Ist nötig, was?“
Er tritt beiseite. Ich renne in eine Kabine, schließe ab, und kauere mich auf dem Klo zusammen, damit die Bestie meine Füße nicht sehen kann.
Die Türe quietscht und fällt zu. Jörg ist weg, ich bin allein. Der Lärm vom Schulhof dringt nur noch gedämpft herein. Ich wage kaum, zu atmen. Das Geräusch unzähliger trippelnder Füße kommt näher. Ich drücke mir die Hände auf die Ohren und vergrabe mein Gesicht zwischen meinen angewinkelten Beinen.
„ Es gibt dich nicht! Es gibt dich nicht!“ Wie ein Mantra presse ich die Worte hervor. Und dann höre ich eine vertraute Stimme.
„ Nori?“
Ich horche auf. Muss vorsichtig sein, die Bestie ist listig.
„ Josch?“
„ Nein Mann, deine Mutter, die die Klos sauber leckt. Na sicher Josch!“
Ich öffne die Tür. Josch mustert mich skeptisch.
„ Hast du dir die Haare gewaschen?“
Sie sind schweißnass.
„ Lass uns verschwinden. Hier stinkt’s“, entgegne ich knapp. Wir gehen in die Pausenhalle. Josch scheint zu merken, dass ich nicht weiter über den Vorfall reden will, und akzeptiert das. Er wühlt in seinem Rucksack.
„ London.“ Er hält mir die Prospekte unter die Nase.
„ Geil“, rufe ich lauter als beabsichtigt. Ich falte das Erste aufgeregt auseinander. Bilder von Westminster Abbey, vom Buckingham Palace, Doppeldeckerbusse. Sonst nur noch Werbung für Hotels. Das Nächste scheint vielversprechender.
„ Anreise mit der Bahn“, lese
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