Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
muss ich Jeans von Jingler tragen? Dieses dämliche Glöckchen.
„ Und darum“, höre ich die Stimme meines Vaters gedämpft hinter dem Fernseher hervorkommen, „wird
Betamax
sich durchsetzen. So, fertig.“
Er taucht wieder auf, tritt einen Schritt zurück, neben mich. Wir betrachten den nagelneuen Videorekorder. Er ist groß, eckig, und erinnert mich an eine monströse Mischung aus Datasette und Mikrowelle. Aber das behalte ich für mich, weil mein Vater bestimmt von beidem noch nie gehört hat. Ich bin gespannt, ob er es hinbekommen hat, Fernseher und Videorekorder richtig zu verbinden. Müsste ich darauf wetten, die Quote stünde sechzig zu vierzig gegen meinen Vater. Wir haben nur einen Film:
Wargames
mit Matthew Broderick. Der wird in 1986 als Ferris Bueller richtig Karriere machen. Noch viel später wird er Godzilla aus New York vertreiben. Aber das weiß außer mir noch keiner. Auf der Videokassette steht BASF. Eine Raubkopie also. Mein Vater zieht sie umständlich aus der Hülle und geht vor dem Rekorder in die Knie. Er weiß nicht, wo er die Kassette reinstecken soll. Das sehe ich an seinem Blick. Warum fragt er mich nicht? Dann findet er doch den richtigen Knopf. „Eject“, liest er und spricht es so, wie man es schreibt. Mein Vater kann viel, aber kein Englisch. Er drückt den Knopf. Das Kassettenfach schwingt mit einem mechanischen Zischen nach oben. Toploader sind schön. Sie passten aber nicht in die später in Mode kommenden TV- und Phonomöbel mit den schmalen Schubladenfächern für jedes Gerät und verschwinden wieder. Ich werde ungeduldig. Mein Vater steckt die Kassette falsch herum in das Fach. Natürlich geht es so nicht zu. Er legt den Kopf auf das Gehäuse des Rekorders und betrachtet die Schließmechanik mit der konzentrierten Miene eines Uhrmachers.
Dafür muss man nun wirklich nicht studiert haben
. Schon tut es mir leid, das gedacht zu haben. Ich bin unfair. Warum sage ich ihm nicht, wo sein Irrtum liegt? Warum fragt er mich nicht? Er weiß doch, dass ich mich mit so etwas besser auskenne. Die Domäne meines Vaters ist der Garten. Ich habe einmal den Rasen gemäht. Freiwillig. Mein Vater hat am gleichen Abend noch mal gemäht. Ich hatte die Ränder an den Beeten nicht richtig geschnitten, sagte er meiner Mutter. Nicht mir. Meine Vorstellung von einem Vater-Sohn-Verhältnis stammt aus dem Fernsehen. Es muss ja nicht gleich sein wie bei
Wickie
. Dessen Vater Halvar ist ohne seinen Sohn ja völlig aufgeschmissen. Der hätte die Kassette bestimmt mit seiner riesigen Streitaxt in den Rekorder geprügelt. Ich mag den Vater aus
Fury
. Jim Newton, den Rancher. Er legt dem kleinen Joey die Hand auf die Schulter und erklärt ihm die Welt. Streng, aber gerecht. Oder Werner aus
Ich heirate eine Familie
. Ein Witzbold, der alle Schwierigkeiten des Alltags mit Charme und Ironie zu lösen vermag. Immer ein offenes Ohr für seine Kinder, wenn er in seinem Studio im Keller seiner Arbeit als Grafik-Designer nachgeht. Ach, der Werner. Eine interessante Gemeinsamkeit von Jim und Werner, die ja sonst durch Jahrzehnte, die Erfindung des Farbfernsehens und den Nord-Atlantik getrennt sind: Beide sind Adoptivväter. Geben die sich vielleicht mehr Mühe? Die Mühen meines Vaters werden hier und heute nicht von Erfolg gekrönt.
„ Ich rufe den Kurt“, sagt er und verlässt das Wohnzimmer. Kurt hat uns den Rekorder verkauft. Den kleinen Elektroladen wird es auch in Zukunft noch geben, weil man hier im Ort eben bei Kurt kauft. Ich höre meinen Vater ins Telefon sprechen. Dann quietscht die Hoftür, und der Rasenmäher springt an. Da kommt mir ein Gedanke. Das Rasenmähen ist für meinen Vater mehr ist als das Schneiden von Gras. Es ist sein Refugium. Sein Rückzugsort in einer Welt, die ihm zusehends entgleitet, immer komplizierter wird. Im Garten zählt Halm lang oder kurz. Klare Regeln. Struktur. Das Röhren des Motormähers sperrt alle anderen Geräusche aus wie ein Bunker aus Lärm. Darin hockt mein Vater und hat genau so viel Angst vor dem Leben wie ich. Mir wird ganz warm, und in meinem Bauch macht sich ein unbekanntes, gutes Gefühl breit. Es ist, als hätte ich nach sehr langer Zeit wieder gegessen. Ich drehe die Kassette um und gehe die Treppe rauf in mein Zimmer.
Ich durchsuche den Schrank meines Bruders nach einem geeigneten Outfit für die Fete. Was nicht hässlich ist, passt mir nicht. Meine Mutter ruft mich zum Abendessen. Mein Vater ist nicht da. Ich stampfe gerade meine Kartoffeln mit
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