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Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)

Titel: Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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Soße, als er nach Hause kommt. Auffällig lange braucht er, um die Tür aufzuschließen. Ich ahne Schlimmes und meine Mutter auch. Er schlägt uns nicht. Er schreit uns nicht an. Eigentlich ist er der sanftmütigste Betrunkene, den ich kenne. Es ist nur so, das er dann noch weiter entfernt von uns ist als sonst. Wenn meine Mutter die Erde ist, ich der Mond, ist mein Vater Alpha Centauri. Betrunken. Nüchtern geht er wenigstens noch als Jupiter durch.
    Dann steht er im Türrahmen. Er bemüht sich um Normalität, aber ich sehe den Schnaps in seinen Augen glühen. Ich kenne den Ausdruck von mir selbst, und ich mag ihn nicht. Er gibt mir etwas Durchtriebenes, etwas Unberechenbares. Meinem Vater auch. Was ihn wohl bedrückt, dass er es zu ertränken versucht? Ich habe ihn nie danach gefragt. Traue ich mich nicht. Auch jetzt nicht. Da ist eine unsichtbare Barriere, eine Art Nicht-Angriffspakt zwischen ihm und mir. Oder zwischen ihm und der Welt. Wir belästigen uns nicht mit Fragen nach dem Wohlbefinden oder mit Zuneigungsbekundungen. Und? Es läuft gut. Wir streiten nie!
    Dann nimmt das eingespielte Szenario seinen Lauf. Meine Rolle ist klar. Klappe halten und mit dem Essen spielen. Meine Mutter geht erstmal in die Aufwärmphase. Wo er herkommt, möchte sie wissen. Vom Friedhof sagt er. Ich bin mir sicher, er lügt nicht. Er war auch auf dem Friedhof. Die Gräber meiner Großeltern sehen stets einwandfrei aus. Und auf jedem brennt immer eine Kerze. Davon können andere Tote nur träumen.
    Jetzt kommt die Sache in Fahrt. Mama wirft das Besteck auf den Tisch, drängelt sich an Papa vorbei aus der Küche. Er fragt, was denn jetzt schon wieder los ist. Käme glaubwürdiger, wenn er beim Sprechen nicht lallen würde. Sie heult und brüllt, dass sie das nicht mehr lange mitmacht. Musste sie ja auch nicht. Nur noch bis Freitag. Der Gedanke sticht im Bauch.
    Mein Vater wird gleich vor dem Fernseher Platz nehmen und einschlafen. Meine Mutter wird wie eine beleidigte Katze durch das Haus streifen. Aber noch entlädt sich die ganze Wut über ihr Leben an ihm. Meine Mama ist hier geboren, in diesem Haus. Sie weiß nicht, wie es ist, alle Sachen in Kartons zu packen, und woanders von vorn zu beginnen. Wie es ist, einen Neuanfang zu machen, wo niemand dich kennt. Ohne Geschichte. Ohne Vergangenheit. Hier im Dorf war und ist sie die Tochter ihres Vaters, dem Trinker. Obwohl er starb, als Mama noch ein Kind war, geistert er immer noch von Kneipe zu Kneipe, schwankt durch die Straßen unseres Dorfes wie eine lallende Legende. Der konnte was wegschlucken, raunen sich die Alten beim Frühschoppen nach der Sonntagsmesse zu und trinken auf sein Wohl. Es muss schwer sein, zu vergeben, wenn die Vergangenheit so lebendig ist. Ich möchte keine Parallele zwischen meinem Großvater und meinem Vater ziehen. Mein Großvater schlug seine Töchter im Suff halb tot. Das ist ja wohl Unterschied genug. Dieses Schwein!
    Niemand verletzt uns mehr als die, die wir von ganzem Herzen lieben. Hört Ihr? Niemand!
     
    Mitten in der Nacht wache ich auf. Habe schlecht geträumt. Es ist so still, das ich es nicht ertragen kann. Warum weiß ich nicht, aber ich ziehe mich nicht mal an, bevor ich aus dem Haus gehe. Barfuß und im Pyjama durch die menschenleeren Straßen wie ein Gespenst. Die Nacht ist immer noch warm genug. Ich höre die Gullis rauschen, das stetige Raunen der Bundesstraße. Wie automatisiert führt mein Weg mich zum Friedhof.
    Das schwere Tor quietscht. Ich spüre keine Angst. Die Dämonen, Vampire und B-Movie-Monster, die mich in meiner ersten Kindheit mit Anbruch der Dunkelheit verfolgten, unter meinem Bett und in meinen Schrank lauerten, sind nicht hier. Denn hier wartet Schlimmeres auf mich.
    Das Zentrum des Friedhofs bildet ein erhöhtes Kreuz. Es ist beleuchtet. Vereinzelt flackern Kerzen auf den Gräbern. Eigentlich ist dies hier ein ganz wundervoller Ort. Ich lasse das Kreuz links liegen, beschreite die schmalen Wege, die labyrinthartig zwischen den Gräbern liegen. Der feine Kies sticht unter den Füßen.
    Dann bin ich da. Es ist eines von vielen. Welke Blumen stehen auf dem Grab. Die kleine Hecke ist sauber gestutzt. Gräber sind wie Mietwohnungen. Dieses hier ist gemietet von Herrn Kaiser, wie der bemooste Grabstein verrät. 1902 bis 1972. Ich kenne ihn nicht und er ist mir egal. Aber in einer Vergangenheit, die jetzt eine Zukunft ist, liegt hier mein Vater. Mama wird dafür Sorge tragen, dass immer eine Kerze auf seinem Grab brennt. Und

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