Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Dicken nennen? Der Massige meinetwegen, aber der Dicke? Er schlendert mit der für ihn typischen Art heran, zu cool, um die Füße zu
heben oder den Mund richtig zu schließen. Seine Lippen sind einen Spalt
geöffnet, seine Augen halb geschlossen.
Ich muss lachen. Klaus bemerkt das,
und wir grinsen uns an.
Es fühlt sich gut an, die Jungs zu
sehen.
Martin lässt seine Krücken fallen,
und sagt Hallo . Worüber reden Dreizehnjährige? Ich warte ab. Martin
beginnt. Er erzählt von einem Handballturnier am Samstag. Er geht auf Krücken
und spielt Handball? Nein, ich erinnere mich. Bis zu seiner Wachstumsstörung
war er aktiver Handballer. Jetzt ist er treuer Zuschauer. Ich weiß, dass er
bald wieder spielen wird.
Klaus erzählt, dass er bei seinem
Vater war. Genau! Klaus’ Eltern sind geschieden. Er lebt mit seiner Mutter ein
Stück außerhalb des Ortes in einem kleinen Haus. Darum auch das Fahrrad. Und am
Wochenende besucht er oft seinen Vater in der Stadt. Gleich bin ich an der
Reihe, zu erzählen. Verdammt, was habe ich am Wochenende gemacht? Mein Mund
ist ganz trocken.
Aber Klaus und Martin ziehen ihre
Aufmerksamkeit plötzlich von mir ab. Ich schaue hin, wo auch sie hinsehen. Rettung
naht – die Mädels kommen!
Sie sind zu dritt. Auch wenn ich
seit unzähligen Jahren an keine von ihnen gedacht habe, erkenne ich sie wieder.
Silvia mit den unbändigen Locken.
Sie ist einen Tag nach mir geboren. Unsere Mütter teilten sich im Krankenhaus
ein Zimmer. Silvia ist klein, hat große blaue Augen und eine breite Nase. Sie
ist ganz in Jeans gekleidet.
Da ist Claudia. Sie ist einen Kopf
größer als ich und hat schon eine unübersehbar weibliche Figur. Ihr Haar ist
lang und blond. Sie trägt eine Ponyfrisur, eine Handtasche über der Schulter,
und ist stark geschminkt. Claudia ist hübsch, aber nur eine Dorfschönheit neben ihr .
Ist sie nicht wunderbar? Wie
die junge Lea Thompson sieht Bettina aus. Ihr strohblondes Haar ist lang und
wild toupiert. Ein Haarreif mit einer großen roten Schleife aus Netzstoff ragt
aus ihrer Mähne hervor. Braune Rehaugen. Ein viel zu großes Hemd mit
Paisleymuster. Die schlanken Beine in einer schwarzen Strumpfhose mit Muster
und Laufmaschen. Weiße Söckchen mit Spitze, dazu rote Chucks .
Ich fühle mich plötzlich klein,
schlecht angezogen und spüre, dass ich schwitze. Ich meine, ich bin nicht
gerade Eric Stoltz. Vielleicht gehe ich noch als Double von Howard the Duck durch.
Klaus macht einen Witz über
Claudias offenen Blusenknopf.
„So kannst du nicht in den Zoo.
Sonst flippen die Affen aus!“
Ich weiß erst nicht, was er meint,
bis ich genauer hinsehe. Man sieht einen Hauch von BH. Claudia tut empört und
schlägt Klaus mit der flachen Hand gegen den Arm. Alle lachen.
„Hast du deine Tage?“, legt Martin
nach.
Claudia wird rot wie eine Tomate.
Martin freut sich, dass seine
Spitze getroffen hat. Er weicht ihrer spielerischen Attacke leichtfüßig aus.
Bettina schaut ihnen lächelnd zu. Dieser Ausdruck in ihren Augen. Als wollte
sie sagen: „Kinder, was macht ihr nur.“ Das erscheint mir irgendwie altklug.
Ich spüre Silvias Blick, doch als ich ihn erwidere, schaut sie schnell zu
Boden.
Der Zustrom der Schüler ebbt
langsam ab. Ich schaue mich um, und entdecke eine Gruppe kleiner Leute zwischen
der Straße und dem überdachten Eingang zur Turnhalle. Klar, da fuhr immer der
Bus zur Schwimmhalle in den Nachbarort. Und heute geht’s zum Zoo. Die anderen
verstehen meinen Blick als Ermunterung und wir schlendern langsam rüber. Bettina
verkündet, dass sie keinen Bock auf Zoo hat. Sie wird sich sofort nach der
Ankunft absetzen und in die Stadt zum Einkaufen gehen. Claudia ist dabei.
Silvia auch.
Das laute Durcheinander zieht mich
in seinen Bann. Ich atme tief in den Bauch und versuche, die aufkeimende Panik
in den Griff zu bekommen. Diesen Teil meiner Reise, den emotionalen, das
Wiedersehen, habe ich völlig unterschätzt. Ich bin überwältigt und zugleich so
glücklich, wie ich es nie zuvor gewesen bin. Ich möchte meine Freude hinausschreien,
meine Freunde umarmen und ihnen erzählen, dass ich wieder da bin. Dass wir
alle wieder da sind!
Nicht platzen, Nori, alte
Zeitbombe!
Der Druck lässt nach und ich
bekomme mich wieder in den Griff. Bettina schreitet durch die Menge wie die
Queen. Wenn wir ihr Hofstaat sind, wer bin dann ich? Der Hofnarr? Ich mustere
die Gesichter und erinnere mich an jeden einzelnen Namen. Jörg, Claudias
älterer Bruder drängelt sich zu uns
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